EM 2024: Chaos bei der Deutschen Bahn und organisatorische Mängel in Deutschland

Von Tom J. Wellbrock

In einem Artikel von The Athletic, Teil der New York Times, wurde die Rolle Deutschlands als Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft 2024 beleuchtet. Der Artikel unter dem Titel “EM 2024 und deutsche Effizienz: Vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten”, legt dar, wie die Wahrnehmung des Autors besonders bezüglich der deutschen Bahn korrigiert werden musste.

Effizienz. Zuverlässigkeit. Funktionalität. Oder auch nicht.

Laut dem Bericht sieht es normalerweise so aus:

“Vom Stadtzentrum aus gelangt man in der Regel einfach per U-Bahn nach Norden zur Haltestellung Fröttmanig, die sich zehn Minuten Fußweg vom Stadion entfernt befindet. Bei bedeutenden Spielen kann es voll werden, allerdings funktioniert außerhalb solcher Veranstaltungen alles recht gut und die Fans finden die benötigten Bereiche problemlos.”

Alles scheint perfekt, bis zu den Spielen der EM:

“Am Freitagabend jedoch traf das Gegenteil zu. Die Verkehrslage auf der Strecke München-Fröttmaning eskalierte völlig. Züge blieben lange an Stationen und in Tunneln stehen und wurden immer überfüllter. Rings um die Allianz Arena entstand ein Chaos – ein Szenario, das sich bei nachfolgenden Spielen wiederholt hat. Zu Bayern-Spielen sind die Zugänge zum Stadion für die Fans deutlich gekennzeichnet. Am besagten Freitag aber scheiterte diese Einteilung komplett und es bildeten sich endlose Schlangen vor dem Stadion. Einige warteten stundenlang im Freien. Als sie schließlich den Vordereingang erreichten, blieb den meisten nichts anderes übrig, als sich gewaltsam einen Weg durch die Massen zu bahnen, was vereinzelt zu Tumulten führte.”

Dennoch relativiert der Autor die Situation, indem er die Mühen der ehrenamtlichen Helfer und der Fußball-Fans lobt, die sich bemühen, das Turnier möglichst reibungslos über die Bühne gehen zu lassen. Ein größeres Problem bleibt jedoch ungelöst: die Deutsche Bahn (DB).

Die Bahn kommt. Zu spät. Oder gar nicht.

An deutschen Bahnhöfen findet auch im Alltag häufig Drama statt. Doch nun, unter der Belastung durch das Turnier, offenbart sich das wahre Ausmaß des Problems.

Ein englischer Fan beschrieb das folgendermaßen:

“Steve Grant, ein englischer Anhänger, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Stadion fuhr, erklärte, die Überfüllung am Bahnhof sei derart gefährlich gewesen, dass man bereit sein musste, sein gesamtes Gewicht einzusetzen, um nicht auf die Gleise gestoßen zu werden. Kontrollmaßnahmen der Menschenmassen habe es keine gegeben.”

Ein weiterer Fan ergänzte:

“Ich konnte nicht glauben, wie überfüllt der Hauptbahnhof war. Als der Zug angekündigt wurde, stürmten alle in Richtung des Gleises – ich kann mir nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn man Kinder dabei gehabt hätte. Letztlich erreichte der Zug den Bahnsteig erst nach 2 Uhr morgens.”

Der Artikel stellt die privatisierte, staatlich subventionierte Bahn als komplexes Problem ohne offensichtliche Lösung dar und beschreibt das deutsche Schienennetz ehemals als Vorzeigeprojekt, heute jedoch als Drama. Seit 2020 ist die Pünktlichkeit der DB stetig gesunken, von 80% auf weniger als 60% in 2023, und entfernt sich so zunehmend von ihrem Ziel von 70% Pünktlichkeit. Trotz gesetzlicher Aufgabe, eine öffentliche Versorgung zuverlässig und kostengünstig zu gewährleisten, steigen die Preise bei abnehmender Qualität kontinuierlich.

Jahrzehntelange Versäumnisse

Die Deutsche Bahn gibt sich optimistisch, versichert, alles für pünktliche und stressfreie Fantransporte zu tun, doch die Realität offenbart Unterfinanzierung und fehlende Investitionen in Personal und Infrastruktur, die zurückgehen bis in die 1990er Jahre.

Der Autor von The Athletic resümiert:

“Es ist nicht schwer zu erkennen, wie sich ein Teufelskreis des Misserfolgs entwickelt hat, oder warum die Situation während des laufenden Turniers derart dysfunktional ist. Es ist ein langjähriges Problem, das schon lange vor der EM 2024 begann und wohl auch noch lange anhalten wird.”

Trotz optimistischer Aussichten auf bevorstehende Investitionen bleibt noch viel zu tun, bis sich an der realen Verkehrssituation etwas ändern wird. Man bedenke daher, ob große Sportveranstaltungen in Deutschland, zumindest aktuell, angebracht sind, insbesondere wenn die Sicherheit und stressfreie Anreise internationaler Fans auf dem Spiel steht.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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