Von Dagmar Henn
Die bevorstehenden Memoiren der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel dürften für zukünftige Historiker nur wenig an neuen Erkenntnissen oder tieferen Einblicken in ihre Persönlichkeit bieten. Dies lässt sich bereits aus den Auszügen schließen, die die Zeitschrift Zeit kürzlich veröffentlicht hat.
Es ist anzunehmen, dass Merkel nicht selbst die Feder geführt hat, sondern ein Ghostwriter für die Texte verantwortlich war. Doch auch unter Berücksichtigung dieses Aspekts wirken die Memoiren seltsam inhaltsleer. Gewöhnlich erwartet man von autobiographischen Werken nicht nur persönliche Einblicke, sondern auch präzisere Betrachtungen der historischen Ereignisse.
Bezüglich Merkels Persönlichkeit wird beleuchtet, dass sie in der FDJ als Sekretärin für Agitation und Propaganda tätig war. Ihre Darstellung der Kindheit und Jugend in der DDR beschreibt sie als von ständiger Bedrohung geprägt:
“Das Leben in der DDR war ein ständiges Leben auf der Kante. Begann ein Tag auch noch so unbekümmert, konnte sich alles durch das Übertreten politischer Begrenzungen in Sekundenschnelle verändern und die Existenz gefährden. Dann kannte der Staat kein Pardon und schlug erbarmungslos zu.”
Angesichts ihrer späteren Karriere würde man eine Erklärung erwarten, warum sie gewisse Handlungen als richtig empfand, die sie früher hätte ablehnen müssen, oder was dazu geführt hat, dass sich ihre Überzeugungen geändert haben.
Die Darstellungen in den Memoiren erscheinen jedoch mitunter als simplifizierende Propaganda, wie die jährlichen Theaterbesuche in Berlin, die so dargestellt werden, als gäbe es in ihrer unmittelbaren Umgebung keine kulturellen Angebote. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Ghostwriter möglicherweise aus dem Westen stammt und die lokale Kultur der DDR nicht adäquat darstellt.
Die mangelnde Differenziertheit in der Wahrnehmung anderer Menschen und Ereignisse ist auffällig. Die Person Merkel scheint in sich geschlossen, ohne Zweifel oder Entwicklung. Obwohl von einem Ghostwriter verfasst, spiegelt der Text vermutlich nur die Klischees wider, die Merkel selbst zulässt:
“Ich verstand den Wunsch der mittel- und osteuropäischen Länder, so schnell wie möglich Mitglied der NATO zu werden, denn sie wollten nach dem Ende des Kalten Kriegs zur westlichen Gemeinschaft gehören. Es stand außer Zweifel, dass Russland diesen Ländern nicht das bieten konnte, wonach sie sich sehnten: Freiheit, Selbstbestimmung, Wohlstand.”
Im Umgang mit Russland wird plötzlich personalisiert, doch auch hier bleibt der Text oberflächlich und von Stereotypen geprägt. Die Memoiren zeigen keine echte Reflexion oder tiefgründige Analyse von Merkels Gedankengut oder ihren politischen Handlungen.
Insbesondere betrübt die Leserschaft wohl die mangelnde Kenntnis innerhalb der Schriften über die realen gesellschaftlichen Dynamiken und Interessen der besprochenen Länder. Stattdessen bleibt man mit einer Darstellung zurück, die eher Merkels Wunschvorstellungen als faktische Zustände reflektiert.
Mit diesen Memoiren entsteht kein kohärentes Bild einer politisch agierenden Angela Merkel, sondern eher das einer Figur, die ihre wahre Persönlichkeit hinter einer Fassade aus politisch konstruierten Narrativen verbirgt.
Mehr zum Thema – Eindrücke aus Merkels Memoiren: “Putin faszinierte Trump offenbar sehr”