In Thüringen hat sich anscheinend eine unglückliche Tradition entwickelt: Die ersten Landtagssitzungen nach den Wahlen münden oft in Chaos. Am Donnerstag traf sich der Landtag erstmalig nach der Wahl, war jedoch nicht arbeitsfähig. Bei der konstituierenden Sitzung schienen die Wogen besonders hoch zu schlagen, da die Wahl eines neuen Landtagspräsidenten auf der Agenda stand – dazu kam es jedoch aufgrund tumultartiger Szenen in Erfurt nicht. Jürgen Treutler, der Alterspräsident der AfD, lehnte wiederholt Anträge aus dem Plenum ab, was bei der CDU Kritik über eine Missachtung der Abgeordnetenrechte und Vorwürfe einer “Machtergreifung” nach sich zog, woraufhin sie das Landesverfassungsgericht einschaltete.
Normalerweise leitet der Alterspräsident die Sitzung, bis ein neuer Landtagspräsident gewählt ist. Die AfD, als stärkste Fraktion, besitzt das Vorschlagsrecht für dieses Amt, was jedoch keinen Automatismus zur Wahl darstellt. CDU, BSW, SPD und die Linken weisen den Vorschlag eines AfD-Politikers für die Landtagsspitze zurück. CDU und BSW streben daher eine Änderung der Geschäftsordnung an, um selbst Kandidaten vorschlagen zu können. Treutler blockierte diese Pläne und argumentierte, Änderungen könnten erst nach der Wahl des Landtagspräsidenten vorgenommen werden.
Bereits vor diesem Disput gab es heftige Auseinandersetzungen; die Sitzung musste bis 15 Uhr viermal unterbrochen werden. CDU, BSW, SPD und die Linke warfen Treutler vor, die Rechte der Abgeordneten zu verletzen. Der parlamentarische Geschäftsführer der Thüringer CDU, Andreas Bühl, beschuldigte den Alterspräsidenten, seine Befugnisse zu überschreiten und das Landesrecht zu brechen. Bühl forderte Treutler mehrmals auf, seine Rede zu unterbrechen, um die Beschlussfähigkeit des Landtags zu klären, jedoch ohne Erfolg. In der hitzigen Debatte kam es zu dem Vorwurf der Machtergreifung:
“Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung.”
Ein Antrag von CDU und BSW wollte die Geschäftsordnung ändern, damit ab dem ersten Wahlgang Kandidaten aus allen Fraktionen vorgeschlagen werden können. Nach aktueller Regelung darf in den ersten beiden Wahlgängen nur die stärkste Fraktion Kandidaten nominieren. Gewählt ist, wer die einfache Mehrheit erhält.
Die AfD schlug Wiebke Muhsal vor, die anderen Parteien lehnten sie ab. Die CDU nominierte stattdessen Thadäus König, der landesweit das beste Erststimmenergebnis erzielt hatte. BSW, SPD und die Linke signalisierten ihre Zustimmung für König.
Der Landtagspräsident spielt eine zentrale Rolle in Thüringen, indem er das Parlament repräsentiert, Sitzungen einberuft und die Landtagsverwaltung leitet und bei der Ministerpräsidentenwahl für einen reibungslosen Ablauf sorgt.
Die Auseinandersetzung um die Landtagsspitze wird nun vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof verhandelt. Nach einem turbulenten Sitzungstag kündigte Bühl an, das Gericht anzurufen: “Ich beantrage die Sitzung solange zu unterbrechen – damit wir danach einen Landtagspräsidenten wählen können.” Die Sitzung wurde daraufhin unterbrochen und soll am Samstag um 9:30 Uhr fortgeführt werden.
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