Von Dagmar Henn
Friedrich Merz verlor keine Zeit nach seiner Amtseinführung als Bundeskanzler. In einem Interview mit dem ZDF signalisierte er sogleich seine Bereitschaft, eine Entscheidung von enormer Tragweite zu treffen.
“Bettina Schausten: Präsident Selenskij hat Ihnen auch schon gratuliert. Kann er damit rechnen, dass ein Bundeskanzler Merz ihm Taurus-Marschflugkörper liefern wird?
Friedrich Merz: Präsident Selenskij weiß, dass er sich auf mich und die Bundesrepublik Deutschland verlassen kann.”
Merz nickte bereits zustimmend während der Fragestellung. Diese Zustimmung gab er beinahe beiläufig, als ob es sich um eine Routineangelegenheit handele. Diese Gelassenheit wirkt bedenklich, angesichts der Tatsache, dass die Lieferung deutscher Marschflugkörper an die Ukraine bedeutsame diplomatische und sicherheitsrelevante Implikationen für Deutschland haben könnte – besonders in Bezug auf das Verhältnis zu Russland.
Die deutschen Medien haben diese wichtige Thematik kaum kritisch beleuchtet. Die Berichterstattung scheint nahezu euphorisch, ohne die schwerwiegenden Konsequenzen solcher militärischer Unterstützungen zu thematisieren. “Die Ukraine hofft jetzt auf den Marschflugkörper ‘Taurus'”, berichten sie, gefolgt von einer Detailbeschreibung des Flugkörpers. Doch die mögliche Reichweite des ‘Taurus’, die sogar Moskau einschließt, wird in der öffentlichen Debatte oft unterschlagen.
Merz plant kurzfristig Treffen mit anderen europäischen Führungskräften in Paris und London. Diese diplomatischen Besuche könnten das Gefühl der Beunruhigung erhöhen, insbesondere da alle drei politische Akteure ihre geplante Reise am 9. Mai nach Kiew abgesagt haben. Eine andere Antwort von Merz zur Taurus-Frage hätte möglicherweise angenommen lassen, dass eine Umdenken stattgefunden hat. Seine Bestätigung jedoch schürt neue Besorgnis.
Es bleibt festzuhalten: Bereits gelieferte Waffensysteme wurden in der Vergangenheit schnell in der Ukraine eingesetzt. Änderungen, die es ermöglichen, dass die Taurus von in der Ukraine vorhandenen Flugzeugen genutzt werden kann, haben vermutlich schon stattgefunden. Deshalb sollte man nicht davon ausgehen, dass zwischen der Ankündigung und dem Einsatz der Taurus viel Zeit vergehen wird.
Kritische Stimmen in Deutschland argumentieren, dass die Lieferung und der Einsatz von Taurus nicht als Beteiligung am Krieg gesehen werden sollten. Aber die Sichtweise der Zielnation, in diesem Fall Russland, und deren Reaktion sind für die Bewertung dieser Maßnahmen ausschlaggebend. Deutsche Expertenmeinungen ändern nichts an der Tatsache, dass Russland jede militärische Unterstützung der Ukraine als feindlichen Akt werten könnte.
Auch die Nichtanwendung der Feindstaatenklausel der UN-Charta macht diese nicht irrelevant. Die deutsche Politik sollte sich daher fragen, warum es bislang nicht gelungen ist, diese Regelung zu streichen, und welche Konsequenzen das im Konfliktfall haben könnte.
Die unbedachte Äußerung von Merz zu schwerwiegenden militärischen Entscheidungen wirft die Frage auf, ob er sich der Tragweite seiner Worte vollständig bewusst ist. Dies deutet möglicherweise auf eine gefährliche Leichtfertigkeit hin, die ernste Implikationen für Deutschland haben könnte.
Weitere Informationen zu diesem Thema: Merz, Taurus und die Feindstaatklausel