Von Dagmar Henn
Der als russisch identifizierte Tanker Eventin verharrt weiterhin vor der Insel Rügen, nunmehr an der Nordwestküste nahe Kap Arkona. Die Stromversorgung des Schiffs fiel aus, was das Manövrieren unmöglich machte. Aufgrund der Wettervorhersage, die Böen bis Windstärke 7 ankündigt, könnte sich eine eventuelle Schleppung nach Rostock noch verzögern.
In der Zwischenzeit haben deutsche Medien die Berichterstattung intensiviert. Julian Röpcke kommentierte in der Bild mit der Schlagzeile “Putins perfide Strategie mit der Schattenflotte” und sprach von einem “hybriden Gefahrenpotenzial”. Laut der Frankfurter Rundschau stellt Putin “mit einem der gefährlichsten Schrotttanker eine Bedrohung für die Ostsee dar”. Ein Meeresbiologe von Greenpeace nutzte die Gelegenheit, um zu fordern:
“Wir fordern die EU auf, auf Basis der Greenpeace-Liste der gefährlichsten Öltanker weitere, dringend notwendige Sanktionen zu beschließen.”
Diese Forderung steht im Einklang mit den jüngsten Sanktionen der USA gegen weitere Schiffe, die als “Abschiedsgeschenk” von der Biden-Regierung verhängt wurden. Greenpeace liefert sogar eine eigene Liste mit 192 Schiffen, die sie als gefährlich einstuft. Laut einem Vertreter der Organisation ist die Eventin “bereits mehrfach negativ aufgefallen durch besonders gefährliche Schiff-zu-Schiff-Transporte von Öl und technische Mängel.” Dabei ist das Schiff mit seinen 19 Jahren nicht unbedingt alt; es entspricht dem Durchschnittsalter globaler Tankerflotten. Dennoch scheint Greenpeace, besonders bei russischem Öl, ein wachsames Auge auf diese Schiffe zu haben.
Die Tagesschau versucht sogar, die Bild zu überbieten, und titelt “Ein Krieg ganz in unserer Nähe”.
Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich zur Havarie der Eventin:
“Russland gefährdet unsere europäische Sicherheit nicht nur mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine, sondern auch mit durchtrennten Kabeln, verschobenen Grenzbojen, Desinformationskampagnen, GPS-Störsendern und eben auch mit maroden Öltankern.”
Sie beschreibt es als Teil eines besonders heimtückischen Plans:
“Mit dem ruchlosen Einsatz einer Flotte von rostigen Tankern umgeht Putin nicht nur die Sanktionen, sondern nimmt auch billigend in Kauf, dass der Tourismus an der Ostsee zum Erliegen kommt – sei es im Baltikum, in Polen oder bei uns.”
Sie betont, dass Deutschland allein elf der 52 im Dezember von der EU sanktionierten Schiffe vorgeschlagen hat. Die sanktionierten Schiffe belaufen sich jedoch auf jüngere, auch eisgängige LNG-Tanker und zwei neue, mit Erdgas betriebene Tanker und sind mit einem Durchschnittsalter von 13,5 Jahren deutlich neuer als der globale Durchschnitt. Die Darstellung einer “maroden Schattenflotte” ist somit nicht faktisch belegt.
Die Zeit bringt Bezug auf zwei Zwischenfälle auf der Ostsee: ein Brand auf dem deutschen Tanker Annika im Oktober und einen Nothalt des griechischen Tankers Yannis P. im Juli, beide jedoch nicht der “russischen Schattenflotte” zugehörig. Das Blatt erwähnt zudem, dass die Ostsee eines der meistbefahrenen Meere weltweit ist, mit über 2.000 Schiffen täglich laut dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde.
Ein solcher Verkehr zieht unweigerlich auch Zwischenfälle nach sich. Doch nur, weil ein Schiff ausfällt, muss es nicht gleich Schrott sein. Angenommen jedes der 2.000 Schiffe bleibt fünf Tage in der Ostsee, ergibt es 12.000 Schiffe im Monat. Die von der Zeit erwähnten Zwischenfälle machen einen Vorfall alle drei Monate aus, also einer von 36.000 Schiffen, mit nur einer flüchtigen Verbindung zur “Schattenflotte”. Dies verdeutlicht die tatsächliche Wahrscheinlichkeit von Zwischenfällen.
Die Darstellung der Eventin als Gefahrenquelle scheint vorbereitet, um darauf basierend politische Maßnahmen zu rechtfertigen. Dabei könnte der Umgang Finnlands mit dem konfiszierten Tanker Eagle S exemplarisch für eine EU/NATO-Strategie sein, um russischen Hafenhandel indirekt zu blockieren. Röpcke behauptete, der Tanker sei von einem russischen Kriegsschiff eskortiert worden.
Mehr zum Thema – EU-Sanktionen gegen die “Schattenflotte” dienen letztlich vor allem den USA.