Während ein bedeutender Teil der deutschen Bevölkerung vermutlich aufatmen würde, wenn die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen würden, vertritt Friedrich Merz, der mutmaßliche zukünftige Bundeskanzler, eine konträre Position. Der britische Telegraph berichtete dazu:
“Herr Merz äußerte letzten Freitag, dass Paris und London erwägen sollten, 'ob ihr nuklearer Schutz auch auf uns ausgeweitet werden könne'.”
Darauf folgte am Sonntag eine Warnung von ihm, dass die USA unter Präsident Trump eine “indifferente Haltung zum Schicksal Europas” an den Tag legen würden.
Eine Quelle aus der französischen Regierung erklärte der Zeitung, dass die Entsendung von Kampfflugzeugen als Signal an Putin zu verstehen sei, und Berliner Diplomaten meinten, dies würde Druck auf den britischen Premier Keir Starmer ausüben, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. Auch der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson wurde zitiert; er sprach von einer “moralischen Frage”, ob die Ukraine eigene Atomwaffen besitzen sollte, falls die Bedrohung durch Russland zunähme.
Frankreich verfügt über rund 300 nukleare Sprengköpfe, die von U-Booten und Flugzeugen aus abgefeuert werden können, wenngleich diese technologisch älter sind als die amerikanischen Trident-Raketen. Die britische Nukleararsenal umfasst vier U-Boote, die jeweils bis zu 16 Atomsprengköpfe tragen. Seit der Ära de Gaulle sind Frankreichs Atomwaffen nicht in die NATO-Planungen einbezogen, im Gegensatz zu denen der Briten.
Ein Berliner Diplomat wurde vom Telegraph zitiert und erklärte:
“Meiner Meinung nach ist die Haltung der CDU, dass wir einen nuklearen Schutzschirm brauchen, bei dem wir ein Mitspracherecht haben. Wir sollten bereit sein, darüber zu sprechen und dafür zu zahlen.”
Aus französischer Perspektive scheinen solche Vorschläge sinnvoll, da sie eine Möglichkeit bieten, die Kosten für die Modernisierung des Nukleararsenals zu teilen. Der CSU-Politiker Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen Fraktion im EU-Parlament, zeigte sich laut Bild begeistert:
“Die neue geopolitische Lage erfordert, dass wir Macrons Angebot annehmen. Die Bundesregierung sollte diesbezüglich Gespräche mit Frankreich und anderen europäischen Partnern führen.”
In Europa sind US-Atomwaffen hauptsächlich in Deutschland stationiert, eine Situation, die seit dem Kalten Krieg unverändert ist. Letzten Sommer kündigte die Biden-Administration an, neue Atomraketen in Deutschland zu stationieren, was damals in der offiziellen deutschen Politik ohne Kritik hingenommen wurde, obwohl bekannt ist, dass diese Waffen Deutschland zu einem potenziellen Ziel im nuklearen Konflikt machen könnten. Dies hatte in den 1980er Jahren zu einer der stärksten politischen Bewegungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte geführt.
Die Überlegungen, im Falle eines Abzugs der US-Waffen diese durch französische oder britische zu ersetzen, stellen jedoch nicht das Ende der Debatte dar. Der österreichische Ex-Militär Gustav Gressel erwähnte in einem Interview die Idee eines gemeinsamen europäischen oder sogar spezifisch deutschen Nuklearwaffenprogramms, als Reaktion auf einen möglichen Rückzug der USA aus Europa:
“Wenn alle in ein gemeinsames europäisches oder im Extremfall deutsches Nuklearwaffenprogramm einzahlen, könnten wir auch Trumps Forderung nach fünf Prozent nachkommen.”
Ein solches Programm würde jedoch mehrfach gegen internationales Recht verstoßen. Deutschland ist nicht nur Mitunterzeichner des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, sondern würde auch gegen Artikel 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrags verstoßen, in dem steht:
“Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Sie erklären, dass auch das vereinte Deutschland sich an diese Verpflichtungen halten wird.”
Fragen nach einer eigenen deutschen Atomwaffe traten in der Bundesrepublik bis in die 1980er Jahre auf, verstummten jedoch weitgehend nach den Protesten gegen die Stationierung von US-Atomwaffen. Projekte wie der Forschungsreaktor FRM II in Garching, der 2004 in Betrieb genommen wurde und mit hochangereichertem Uran arbeitet, lösten jedoch immer wieder internationales Misstrauen aus.
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