Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer
Nach den Tagesnachrichten und weiteren obligaten Highlights der allabendlichen Fernsehkultur (man denke etwa an Dauerbrenner wie “Weichbergers Wohnzimmer” und “Bei Mattus Lansarus”) pflegt der Balkonist meist zu später Stunde noch eine Zeit lang im Wohnzimmersessel zu sitzen, um die Tagesgedanken zu sortieren.
Heute musste Kater Murr III. nun, ersatzweise für seine Frau (die bereits zu Bett gegangen war, um endlich das angefangene Buch fertig zu lesen), den Ausführungen lauschen, welche Michael halblaut entwickelte. Das Katzentier, im Halbschlaf auf seinen Beinen liegend, schnurrte ab und zu zustimmend zu den nachfolgenden Gedankengängen.
Stell Dir vor, Du besprichst eine wichtige finanzielle Angelegenheit mit Deinem Finanzberater, wobei natürlich viele persönliche Dinge tangiert werden, einschließlich Schulden, Steuerfragen und so. Erstaunlicherweise segelt dann eine Woche später ein nicht angefordertes Angebot einer großen Internetbank ins Haus – erstaunlich passgenau für Deine Belange. Alles nur Zufall? Du beruhigst Dich mit der fixen Idee, dass dies nur ein unwahrscheinlicher Einzelfall war.
Doch weit gefehlt. Noch viel unwahrscheinlicher ist folgendes Ereignis: Da sitzen mehrere hoch geadelte Jungs auf dem Spielplatz und beginnen, teils recht bodenständig plaudernd, einige nicht ganz ungefährliche Planspiele im Sandkasten. Dabei werden sie jedoch vom blind und taub geglaubten älteren Nachbarn aus seiner etwa 500 Meter entfernten Wohnung belauscht. Bis vor wenigen Tagen hättest Du laut miauend eingeworfen: “Beide Geschichten sind doch frei erfunden und völliger Quatsch – solche Zufälle gibt es gar nicht, weder im Kleinen, noch im Großen! Einzig wir Katzen wären imstande, Euch Menschen heimlich zu belauschen, und das sogar ohne jenen ominösen Hirnchip, über den heutzutage so viel zu lesen ist.”
Zum ersten Fall: Da wurde aufgrund von etwas zu viel Gerede von Dir und dem netten Finanzberater vermutet, dass da interessante Informationen versteckt sein könnten. Dann schöpfte die nette ältere Nachbarin “Uns Uschi” (wegen ihrer Vorliebe für Jagdtrophäen auch “Flinten-Uschi” genannt) Argwohn und ließ einiges an halboffen “herumliegenden” Informationen abfischen – von Handynutzungsdaten bis zu digi-ID und digi-Citron*-Pass (Du dachtest, das Ding wäre längst inaktiviert) bis zu sonstigen auf Vorrat gespeicherten Daten. Das erhält dann der superschlaue Großcomputer Konrad-I-Zuse (kurz auch fälschlich als “KI Sause” tituliert) zur Analyse nach dem Motto “Mal schauen, was da Schönes herauskommt”. Da die aufbereiteten Daten aber weniger interessant sind, als zunächst gedacht, verkauft man sie weiter an irgendeinen Dienstleister, der vielleicht etwas mit dem Datenschrott anfangen kann (natürlich unter besonderer Berücksichtigung des Datenschutzes).
Zum Fall Nummer zwei: Da wird doch glatt der pöööhhhse Winnifang Puh, zigtausend Kilometerchen ostwärts wohnend, auf das laute Tosen in einer wenig datengeschützten Internetleitung aufmerksam, weil einer der blödelnden Jungs sein Handy im Sandkasten laufen hatte, was dann so eine Art von Rückkopplungshalleffekt ergab. Natürlich total skandalös so etwas von dem pöööhhhsen Winnifang!
Ganz im Gegenteil zur mit uns befreundeten Firma “Horch und Lausch” jenseits des Atlantiks, die bisweilen dergleichen mit Politikern im fernen Europa anstellt, allerdings nur zu deren Bestem selbstverständlich. Und was er da zu hören bekommt, ist zunächst einmal recht lustig (vom allerersten Beginn mit überschwänglicher Begrüßung und Selbstbelobigung hatte er ja gar nicht berichtet): nämlich den jungenhaften Phantastereien zuzuhören.
Da ist also zu vernehmen von einem Urlaub, pardon: einer wichtigen berufsbedingten Reise in ein sehr warmes Land (welche Leiden man nicht alles für seinen Arbeitgeber auf sich nimmt!). Man leidet da natürlich sehr, vor allem unter schwüler Luft, die einem den Schweiß literweise aus den Adern presst; also rasch zur Abkühlung ins Schwimmbad des traumhaften Hotels mit bester Aussicht (nicht nur auf die Landschaft). Da aber Schwitzen, Schwimmen und das Schielen auf Wassernixen sehr durstig machten, gönnte man sich ein oder zwei Gläschen Fröhlichkeit.
Doch leider hat man am späteren Abend noch jenes verabredete Treffen mit guten Freunden am nahegelegenen Sandkasten. Das anfänglich recht platt wirkende freundschaftliche Geschwätz der Jungs wird aber ernsthafter, als ein älterer und hochgewachsener Freund nicht ganz zufällig vorbeikommt und die genauen Spielregeln allen dezidiert ins Gedächtnis rufen möchte. Dabei aber gerieren sich die phantastischen Mitspieler plötzlich wie Konkurrenten, ein jeder prahlt, wie viel mehr er über dieses Sandkastenspiel schon wisse und wie oft er schon zusammen mit seinen Partnern gewonnen hätte.
Der Ältere gemahnt zu mehr Seriosität und Diskretion, es gebe da bedeutende Besonderheiten in der Auslegung der Spielregeln zu beachten; bisweilen deutet er sogar mit erhobenem Zeigefinger an, dass illegales Glücksspiel doch eigentlich verboten sei. Nichtsdestotrotz prahlt dann der zweite der Freunde, dass er sogar auf wilden Stieren (welche er der Einfachheit bei ihrem lateinischen Namen nennt, um etwas mit seiner Bildung zu glänzen) ganz gehörig reiten könne. Auch wäre er imstande, diese über alle Unwegsamkeiten hinweg völlig unbeobachtet und inkognito über einige Grenzen zu bewegen – zuerst quasi in der Schubkarre und dann unterhalb der Deckung durch Gebüsch und Wald reitend. Diese wilden Stiere würden sogar dem Schattenwurf eines vor dem Mond herannahenden Sturmes enteilen können, so schnell wären sie.
Im weiteren Gesprächsverlauf ist dann aus verschiedenen Mündern zu erfahren, dass auch ihre weiteren Eigenschaften überhaupt grandios wären. Denn es solle damit eine überraschende und große Vorstellung aufgeführt werden in einem fernen Land, also solch ein Happening wie im fiktiven Circus diabolo. Dieses “Big Event” müsse spektakulär sein, müsse alle im Land und darüber hinaus aufrütteln, wie eine riesige Benefiz-Show, nur halt mit gehörigem Knalleffekt. Der Interessent oder Besteller dieses “Big events” (bitte nicht verwechseln mit dem “Doppel-Wumms”, der kam aus einem anderen Ressort!) ist auch gleich ausgemacht. Wir wissen nur noch nicht genau, ob man ihm besagte Bestellung der “Wundertiere” sogar zuvor in den Mund legen musste.
Und das allerbeste an dieser Bestellung ist, dass sie nach der Vereinbarung “buy now, pay later” funktioniert. Und selbst ein Zahlungsausfall sei zur Not sehr gut abschreibungsfähig. Und nun ja, die anderen Freunde, jene von der gegenüberliegenden Straßenseite, würden ja auch nicht schlafen, und sie wären von diesen schon arg bedrängt worden, endlich mal etwas Besonderes “zu liefern”, statt immer nur zu reden.
Aber dabei gebe es noch ein Hindernis, einen kleinen, aber gewichtigen Onkel namens Otto Spielverderber, mit dem man sich derzeit noch gut arrangieren müsse, merkt der hochgewachsene Älteste an. Zum Glück würden sie aber in ihrem Planspiel von dem anderen Onkel, nämlich Berti Pistoletti, dem dieser Spielplatz hier unterstellt sei, kräftig unterstützt. Überhaupt könne man sagen, dass Berti ein Pfundskerl sei! Er ist von anderem Kaliber und wäre tollkühnen, verwegenen Plänen durchaus zugewandt.
Unser Balkonist fasste diese Überlegungen nun abschließend zusammen, mehr für sich, als für den sich schlafend stellenden schwarzen Kater; sozusagen als “Moral von der Geschicht”: Erstens: Nutze viele digitale Dienste mit Deinen persönlichen Merkmalen (was wir ja schon alle mehr oder minder machen), denn die Geheimnis-Uschi wird’s für Dich zum Besten richten!
Zweitens: Sandkastenspiele können so unterhaltsam sein, dass blind und taub geglaubte Leute sich aus der Ferne daran delektieren möchten und plötzlich bestens hören können. Und wir wissen noch nicht einmal, was die Jungens am Sandkasten bereits zuvor an illustren erstaunlichen Dingen ausgeplaudert haben zur allgemeinen Erbauung des unerlaubten Zuhörers (wie zum Beispiel unglaublich gefährliche Abenteuer, filmreife Tagträume und glorreiche Mädchengeschichten).
Drittens wird deutlich, dass die verschworene Planspielgemeinschaft ein Problem in Form der Spaßbremse Onkel Otto hat, den man entweder umpolen oder in seine Schranken weisen oder gar während des Spiels auswechseln müsste. Hilfreich könnte hier womöglich Onkel Ottos Verwicklung in das andere, das Drahtkartenspiel sein; da hatte er nämlich deutlich weniger zögerlich den Spaß gebremst.
Selbstredend könnte der coole Onkel Berti zusammen mit der vampirgrauen Agathe Scherr-Zinsmeister versuchen, den langhaarig-glänzenden Piraten Toli Hufschmied und die bisweilen bunt flatterhafte Anni Lotta Blocksberg hinzuzugewinnen, was nicht unbedingt schwer sein dürfte. Sogar aus den Reihen der missliebigen Verwandten könnte zumindest der stets einem verwegenen überstürzten Abenteuer zugeneigte Raubert Krießklima mitmachen. Über diesen letzten Gedanken waren sowohl Kater Murr III als auch unser Balkonist recht ermüdet und fielen in einen kurzen unruhigen Schlaf auf dem Fernsehsessel.
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