Von Susan Bonath
Ob es nun um Fingerabdrücke in Pässen, Gesichtserkennung durch Videoüberwachung, transparente Bankkonten oder den Einsatz von Staatstrojanern geht: Die Ausweitung digitaler Überwachungstechnologien erweckt Begeisterung bei den Regierenden. Deutschland und die Europäische Union nutzen den technologischen Fortschritt intensiv, oft legitimiert durch neu verabschiedete Gesetze und in Kooperation mit privaten Unternehmen. Doch eine effektive demokratische Kontrolle dieser Überwachungsmaßnahmen scheint eher eine theoretische Fiktion zu sein.
In Deutschland gibt es zwar offiziell den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI), dessen Aufgabe es ist, sowohl die Regierung als auch die Geheimdienste zu überwachen. Doch diese Funktion erscheint mehr als bloße Alibifunktion.
Kurz bevor Ulrich Kelber, der aktuelle BfDI-Chef, sein Amt verlässt, hat er eine Klage gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) vor dem Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Er fordert die Herausgabe von Dokumenten über den Einsatz spezifischer Überwachungssoftware.
Ignoranz im Kanzleramt
Kelber teilte in einer Pressemitteilung mit, dass das Kanzleramt seine Forderung nach Einsicht in Dokumente, die ihm der BND fälschlicherweise vorenthalten habe, ignoriert hat. “Wir haben diese Verweigerung beanstandet”, sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Fall betrifft laut Kelber die Kernkompetenzen seiner Behörde und gefährdet ihre gesetzlich festgelegte Unabhängigkeit.
Kelber wollte speziell eine “Einrichtungsanordnung” überprüfen, die dokumentiert, wie ein Überwachungssystem angewendet wird und welche Daten dabei verarbeitet werden. Details dazu dürfe er jedoch nicht weitergeben, da die Dokumente des Geheimdienstes klassifiziert sind, erklärte er weiter. Laut der Nachrichtenseite netzpolitik.org geht es bei der fraglichen Überwachung möglicherweise um die Sammlung von Daten ausländischer Bürgerinnen und Bürger in großem Umfang.
In seiner Stellungnahme kritisierte Kelber zudem, dass der BND die Unabhängigkeit seiner Behörde durch die Verweigerung der Dokumente einschränke und sich das Recht vorbehalte, selbst über Umfang und Inhalt der Kontrollen zu entscheiden.
Datenschutz als lästiges “Handicap”
Obwohl Kelber Gegner solcher Praktiken zu sein scheint, zeigte er sich bisher oft einverstanden mit staatlichen Überwachungsmaßnahmen und lobte wiederholt die Zusammenarbeit. Auch strittige Gesetzesänderungen brachten ihn nicht dazu, öffentlich Widerspruch einzulegen, wie die Verschärfung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, welche breiten Überwachungszugriff erlaubt.
Unter dem Vorwand der “Sicherheit”
Unter dem Deckmantel der “Sicherheit” fordern Vertreter aus Politik, Staat und Privatwirtschaft vermehrt die Einführung eines autoritären Überwachungsstaates. Aktuell kritisiert beispielsweise Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, den “übervorsichtigen Datenschutz” als gesellschaftliche Gefährdung in der Zeitung Welt.
Ein weiteres kontroverses Thema ist die EU-weite Chatkontrolle, die es Online-Diensten ermöglichen würde, private Chats mittels Künstlicher Intelligenz zu durchsuchen, angeblich um Kindesmissbrauch zu bekämpfen. Europol strebt nun uneingeschränkten Zugriff auf diese Daten an.
Die Überwachungsinfrastruktur scheint unaufhaltsam zu wachsen, und die Einführung weiterer Überwachungswerkzeuge ist nur eine Frage der Zeit. Ebenfalls können solche Maßnahmen auch weitere Gesellschaftsgruppen betreffen, wie das Beispiel der “Bezahlkarte” für Asylbewerber zeigt, die den Behörden eine vollständige Kontrolle ermöglicht.
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