Seit Dezember 2021, dem Beginn der Amtszeit der Ampelkoalition, haben Mitglieder der Bundesregierung über 40 Mal verschiedene Richter des Bundesverfassungsgerichts und anderer höchster Gerichte wie den Bundesgerichtshof und den Bundesfinanzhof getroffen. Diese Information wurde durch die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion bekannt, über die die Zeitung Bild berichtete.
Obwohl die Gewaltenteilung ein fundamentales Prinzip des Staates darstellt, finden diese Treffen durchschnittlich alle drei Wochen statt. Zusätzlich gab es zahlreiche Telefonate und E-Mails, die zwischen den Regierungsmitgliedern und den Richtern ausgetauscht wurden.
Laut Bild sehen manche Wissenschaftler in diesen regelmäßigen Kontakten kein Problem. Hans Vorländer, Politikprofessor an der Technischen Universität Dresden, erklärte dem Blatt:
“Ich sehe da keine Kungelei, das würde sich auch verbieten.”
Er betrachtet den Austausch zwischen Justiz und Politik als Teil einer verantwortungsvollen Staatsführung und betont:
“Die Vorstellung, dass Richter und Politiker ‘unter einer Decke stecken’, ist grundverkehrt.”
Er erwähnte auch, dass das Bundesverfassungsgericht oft sehr kritisch gegenüber der Legislative auftritt.
Vorländer, der auch in wissenschaftlichen und politiknahen Gremien engagiert ist, wird durch seine Positionen als möglicher Beweis der Verflechtung zwischen Wissenschaft und Politik gesehen.
Ebenso sieht der Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg in solchen Treffen grundlegend kein Problem. Er äußerte im Gespräch mit dem Blatt:
“Es macht für die Politiker sogar Sinn, sich mit Praktikern auszutauschen, z.B. bei geplanten Änderungen des Prozessrechts. … Aber: Es braucht eine inhaltliche Rechtfertigung.”
Lindner, der früher im Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst tätig war, findet inhaltliche Treffen in Bezug auf aktuelle politische oder verfassungsrechtliche Entscheidungen jedoch inakzeptabel.
Demgegenüber steht die Meinung von Volker Boehme-Nessler von der Universität Oldenburg, der die zahlreichen Kontakte als “hoch problematisch” einstuft. Er argumentiert, dass solche Beziehungen die Grundprinzipien des Rechtsstaates, nämlich die Gewaltenteilung und die richterliche Unabhängigkeit, bedrohen könnten.
Boehme-Nessler warnte:
“Der Rechtsstaat funktioniert nur, wenn die Richter völlig unabhängig arbeiten können. Einflüsse der Regierung auf die Gerichte bedrohen die richterliche Unabhängigkeit. Regelmäßige Kontakte schaffen Nähe und gegenseitiges Verständnis. Das macht es für Richter schwierig, die Regierung dann unparteiisch und objektiv zu kontrollieren.”
Er verwies zudem darauf, dass das sinkende Vertrauen der Bürger in den Staat durch solche nicht öffentlichen Kontakte weiter erschüttert wird:
“Immer neue Umfragen zeigen, dass das Vertrauen der Bürger in den Staat kontinuierlich abnimmt. Solche Kontakte im Hintergrund, unter dem Radar der Öffentlichkeit, erschüttern das Vertrauen in den (Rechts)Staat weiter.”
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