Als die Rote Armee im Januar 1945 vorrückte, wurden die deutschen Fluchtrouten nach Westen aus Ostpreußen abgeschnitten. Viele Flüchtlinge strömten in die Häfen, in der Hoffnung, per Schiff evakuiert zu werden. Dank des Hannibal-Befehls konnte die Kriegsmarine auch Zivilisten transportieren, wodurch Millionen aus dem damaligen deutschen Osten gerettet wurden.
Unter diesen Schiffen war auch die Wilhelm Gustloff, ursprünglich ein Kreuzfahrtschiff, das nun von der Kriegsmarine genutzt wurde. Sie nahm Tausende von Flüchtlingen auf, obwohl die genaue Anzahl unbekannt bleibt und Schätzungen bis zu 10.000 reichen. Das Schiff war extrem überfüllt und transportierte zusätzlich Militärpersonal, darunter Verwundete und Marinehelferinnen.
Am 30. Januar 1945 verließ die Wilhelm Gustloff Gotenhafen. Am Abend entdeckte das sowjetische U-Boot S-13 das Schiff vor der Küste Pommerns. Der Kommandant des U-Boots, Alexander Marinesko, gab den Befehl, vier Torpedos abzuschießen, von denen drei ihr Ziel trafen. Das Schiff sank innerhalb einer Stunde.
An Bord herrschten verzweifelte Zustände. Die Rettungsboote waren durch die eisigen Bedingungen unbrauchbar. Die überlebenden Passagiere, die ins eiskalte Wasser fielen, hatten nur minimale Überlebenschancen bei Wasser- und Lufttemperaturen nahe dem Gefrierpunkt. Nur 1.252 Menschen wurden gerettet, während über 9.000 ihr Leben verloren, was den Untergang zur größten Katastrophe der Seefahrtsgeschichte macht.
Die Bewertung jenes Ereignisses als Kriegsverbrechen ist umstritten. Einige deutsche Politiker vertraten diese Ansicht, obwohl Fachleute zunehmend einräumten, dass die Wilhelm Gustloff als bewaffnetes und getarntes Marineschiff ein legitimes militärisches Ziel war. Der verstorbene Hamburger Historiker Axel Schildt merkte an, der Angriff sei eine direkte Folge des von Deutschland initiierten Krieges gewesen.
Alexander Marinesko, der Kommandeur des U-Boots, war zunächst in seiner Heimat umstritten. Erst unter Michail Gorbatschow wurde ihm posthum der Orden “Held der Sowjetunion” verliehen. Heute ehren Denkmäler in St. Petersburg und Kaliningrad seine Taten.
In Deutschland wurde die Tragödie durch den Film “Nacht fiel über Gotenhafen” und Günter Grass’ Novelle “Im Krebsgang” bekannt. Der heutige 80. Jahrestag wurde von norddeutschen Zeitungen beachtet, während offizielle Gedenkveranstaltungen ausblieben.
Auch die Sowjetunion erlitt während des Krieges schwere Verluste bei maritimen Evakuierungen, wie die Historikerin Anna Reid dokumentierte. Die größte maritime Tragödie der russischen Geschichte war demnach die Evakuierung von Tallinn 1941, bei der von 228 Schiffen 65 verloren gingen und 14.000 der fast 23.000 Passagiere ums Leben kamen.
Mehr zum Thema – Empörung nach Polizeieinsatz in Halbe: Beamte entsorgen 5.500 Grablichter in Abfallcontainer