Ein RBB-Interview vom 9. Mai deckt auf, dass seit Beginn der Ukraine-Krise im Februar 2022 die Anzahl offiziell registrierter ukrainischer Prostituierter in Berlin deutlich zugenommen hat. Gerhard Schönborn vom Verein “Neustart” erläuterte, welche Motive die Frauen in die Prostitution treiben und welche Risiken damit verbunden sind.
Die erschütternde Thematik wird unter dem Titel:
“Die ukrainischen Männer im Krieg wissen nicht, dass sich ihre Frauen hier prostituieren.”
aufgegriffen. Der Verein Neustart fokussiert sich auf Menschen, “die am gesellschaftlichen Rand stehen, Hilfe benötigen oder benachteiligt sind, insbesondere auf Frauen in der Prostitution, Drogenabhängige und Straffällige”, so Schönborn. Er erwähnt, dass bereits vor dem Krieg ukrainische Frauen in Berliner Bordellen arbeiteten, jedoch hat sich die Situation erheblich verändert:
“Zuvor dominierten Frauen aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien das Milieu. Im Februar 2022 waren 24 ukrainische Frauen gemäß dem Prostituiertenschutzgesetz registriert, ein Jahr später 139 und aktuell 153. Die Zahlen haben sich binnen zwei Jahren versechsfacht.”
Nach Ausbruch des Krieges im Mai 2022 arbeiteten in einem bekannten Bordell fast ausschließlich Ukrainerinnen. Die Situation erscheint ähnlich in anderen Etablissements der Stadt:
“In mindestens vier weiteren Bordellen der Stadt arbeiten überwiegend geflüchtete Ukrainerinnen. Auch in vielen anderen Bordellen sind sie präsent.”
Schönborn hebt hervor, dass nur ein kleiner Teil der betroffenen Frauen offiziell registriert sei, jedoch belegen die bekannten Zahlen einen deutlichen Anstieg. Viele dieser Frauen seien nach dem Kriegsbeginn geflohen, einige wegen im Krieg befindlicher Ehemänner. Heikle Biografien hat Schönborn zu berichten:
“Die Frauen, die wir betreuen, sind meist nach Februar 2022 geflohen. Einige waren in Aufnahmezentren. Eine Betreute, erst kürzlich 18 geworden, musste das Hilfesystem verlassen und landete in einem Bordell.”
In der Ukraine ist Prostitution verboten. Rekrutierungen erfolgen oft online mit Anzeigen, die eine Arbeit im ‘Dienstleistungsbereich’ oder ‘Massagen’ suggerieren, aber die wahre Natur der Tätigkeit wird oft verschleiert:
“Die meisten wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Arbeitswillig sind sie, aber oft nicht über ihre Rechte informiert.”
Die prekärste Lage erfahren üblicherweise jene Frauen, “die in der Ukraine schon am Existenzminimum lebten und alles zurücklassen mussten”. Einmal in einem Bordell untergekommen, ist es für die Frauen schwer, eine alternative Bleibe zu finden. Auch über die Betreiberinnen der Bordelle, einige davon sind Ukrainerinnen, gibt es Aufschluss:
“In einigen Bordellen, die wir besuchen, sind die Betreiberinnen selbst Ukrainerinnen, die schon vor dem Krieg im Prostitutionsgewerbe waren. Sie nutzen die Gelegenheit, gezielt Frauen aus der Ukraine anzuwerben.”
Traurige Tatsachen offenbaren sich auch in den sogenannten Freier-Foren, in denen Männer sich “auf frisches Fleisch freuen” und andere Nationalitäten herabwürdigend behandeln.
Nur die wenigsten Familien in der Ukraine sind sich der bitteren Realität bewusst:
“Die ukrainischen Männer im Krieg wissen nicht, dass sich ihre Frauen hier prostituieren, um zu überleben.”
Die Herausforderungen für Sozialarbeiter sind groß, insbesondere die Knappheit an Sprachmittlerinnen, die einen Zugang zu den Frauen ermöglichen könnten, sowie ein Mangel an geeigneten Unterkünften und sozialer Unterstützung.
Mehr zum Thema – Prostitution in der Schweiz: Sex-Gewerbe wertvoller als die Käseproduktion