Von Dagmar Henn
Der kürzlich veröffentlichte Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes zur Situation deutscher Kindertagesstätten offenbart drastisch die sozialen Missstände und die sich anbahnende Bildungskrise in Deutschland, selbst fernab gravierender historischer Ereignisse wie Kriegen. Dieser Bericht beleuchtet nicht nur die offensichtlichen Probleme, sondern auch jene, die eher im Verborgenen liegen – teilweise bedingt durch die eigenen Interessen des Verbandes als Trägerorganisation.
Die Umfrage, durchgeführt von Mai bis Juni 2023, wurde bei 1.760 Personen im Bundesgebiet durchgeführt, vorwiegend Leitungen von Kindertagesstätten des Paritätischen. Es fehlt zwar die Repräsentation verschiedener Gebiete, besonders der ländlichen westlichen Regionen mit dominant kirchlichen Trägern wie Caritas oder Diakonie, und urbaner Armutsgebiete, jedoch sind die Ergebnisse dennoch besorgniserregend. Bereits andere Studien deuteten in der Vergangenheit auf ähnliche Problematiken hin.
Alarmierend ist, dass laut Umfrage jede zweite Kita mit vakanten Stellen kämpft, im Durchschnitt fehlen pro Einrichtung 2,6 Mitarbeiter. 72 Prozent der Kitas berichten von regelmäßigen Überstunden ihrer Angestellten, und in 20 Prozent können aufgrund des Personalmangels nicht alle verfügbaren Plätze belegt werden, was durchschnittlich 14 Kinder pro Einrichtung betrifft. Hieraus ergibt sich, dass bundesweit schätzungsweise 125.000 Stellen in Kindertagesstätten nicht besetzt sind. Diese Misere hat ihre Wurzeln auch in den sozioökonomischen Verhältnissen der Standorte. Ärmere Gegenden kämpfen stärker mit Personalmangel und anderen Herausforderungen.
“Je stärker der Sozialraum als benachteiligt wahrgenommen wird, desto größer ist der Anteil der unbesetzten Stellen. Lediglich in einem Viertel der Einrichtungen in benachteiligten Sozialräumen gibt es keine unbesetzten Stellen, gegenüber 43 Prozent in privilegierten Sozialräumen.”
Die beschönigende Rhetorik kann die harten Fakten nicht verbergen: Warum sollte sich jemand für einen stressreichen Arbeitsplatz entscheiden, wenn alternativ eine entspannte Atmosphäre möglich wäre? Besonders brisant ist, dass nach einer fünfjährigen, oft privat finanzierten Ausbildung die Einstiegsgehälter nur geringfügig über der Armutsgrenze liegen, was zu einer hohen Fluktuation führt, sowohl zu besser bezahlten Positionen als auch in vollkommen andere Berufsfelder. Trotz Großstreiks vor 15 Jahren, um die Löhne anzuheben, bleibt der größte Arbeitgeber – die öffentliche Hand und insbesondere die Kommunen – unter finanziellen Restriktionen, die eine angemessene Bezahlung schwierig machen.
Die finanziellen Engpässe treffen vor allem arme Kinder hart. Der Bericht zeigt, dass 43 Prozent der Kitas auf Sach- und Geldspenden der Eltern angewiesen sind, um eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen. Besonders hoch ist der Anteil in Berlin und Sachsen-Anhalt. Auch hierbei bleibt der Staat bei der notwendigen Unterstützung hinter den Erfordernissen zurück, eine vollständige Refinanzierung der gestiegenen Kosten findet nur in etwa einem Drittel der Einrichtungen statt.
Ein scheinbarer Fortschritt manifestiert sich im Bereich der Inklusion: Drei Viertel aller Einrichtungen betreuen Kinder, die spezielle Unterstützung benötigen. Jedoch verfügen 61 Prozent dieser Einrichtungen nicht über speziell geschultes Fachpersonal für Inklusion. Die Mehrheit der Kitas hat auch nicht die benötigten räumlichen Bedingungen oder erhält keine zusätzlichen Personalstunden für Inklusionsleistungen. Dazu kommt eine überfordernde Bürokratie, die viele Eltern ins Stolpern bringt.
Die Vielfalt der Trägerschaften und zuständigen Ämter bewirkt eine mangelnde Effizienz bei der Verwendung der vielfach aus Steuermitteln stammenden Gelder. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern verstärken das Problem zusätzlich, wobeil jede Region eigene Richtlinien und Verantwortlichkeiten hat. Die Bundesebene muss dringend handeln, um diese Missstände zu beheben und eine gerechtere, effizientere Verteilung der Ressourcen zu gewährleisten, bevor die Situation noch weiter eskaliert.
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