Von Tom J. Wellbrock
In der Talkshow von Maybrit Illner am 16. Mai 2024, mit dem Thema “Protest gegen Israel – was unterscheidet Kritik von Hass?”, wurde auffällig vermieden, konkret auf Israels gewaltsames Vorgehen einzugehen. Statt klarer Benennungen dominierten in der Sendung unkonkrete Aussagen wie “Natürlich darf man Israels Politik kritisieren” und verweichlichte Kommentare zu Zivilistenopfern im Gazastreifen.
Der Tenor der Sendung schien eher darin zu liegen, Israels Handlungen seit dem 7. Oktober 2023 zu legitimieren. Maybrit Illner selbst zeigte sich verblüfft und betitelte die Eröffnung eines Verfahrens gegen Israel und Deutschland beim Internationalen Gerichtshof wegen Völkermord als “absurd” und “verrückt”. Herbert Reul, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, äußerte sich in diesem Zusammenhang sehr eigensinnig:
“Das mag vielen Menschen hier im Land absurd erscheinen, aber es gibt eine wachsende Zahl von Regierungen von Ländern, die das genauso denken.”
Die Arroganz und der Größenwahn, der sich in dieser Diskussion widerspiegelte, zeigten, wie beschränkt die Offenheit gegenüber internationaler Kritik in politischen Kreisen sein kann. Reul betonte weiter, die Entscheidungen des Gerichtshofs seien für ihn inakzeptabel:
“Für mich ist das nicht akzeptabel, und ich versteh's nicht, das Ergebnis ist ok. Aber das andere kann ich nicht verstehen.”
Reuls Statements verdeutlichen die Ignoranz gegenüber juristischen Bewertungen und unterstreichen eine verbreitete Selbstgerechtigkeit.
Der Innenminister äußerte sich zudem abfällig über ein vermeintliches Fehlverhalten der deutschen Jugend, dem er eine “Von-oben-herab-Haltung” attestierte. Ein klassisches Beispiel für Täter-Opfer-Umkehr, das die politische Führung oft an den Tag legt.
Kritik oder Hass?
Die deutschen Medien und politischen Debatten zeigen oft eine Perspektive, die Israels Vorgehen im Gazastreifen als Selbstverteidigung darstellt, trotz der hohen Zahl ziviler Opfer. Diese Sichtweise wurde in der Talkshow durch psychologische Argumente seitens Ahmad Mansour untermauert, der eine differenzierte Betrachtung des Konflikts forderte:
“Was die Europäer und der Westen nicht sagen, ist, wie Israel diesen Krieg überhaupt gewinnen kann, wie Israel die Geiseln befreien kann, und ich mache mir große Sorgen, wenn Hamas dann als Sieger aus diesem Krieg rauskommt. Was das für Europa und auch für Israels Zukunft hat. Und ich glaube, dass wir auch vergessen, das ist keine konventionelle Kriegsführung, Israel kämpft gegen eine Terrororganisation, die unter der Erde ist, die die eigene Bevölkerung terrorisiert. Und deshalb glaube ich, dass diese Frage nicht so einfach zu beantworten ist, das ist eine sehr komplexe Sache.”
Historisch betrachtet, gab es Zeiten, in denen der WDR beispielsweise auf die humanitären Konsequenzen von militärischen Einsätzen hinwies, wie im Kosovokrieg 1999. Dies artikuliert die Notwendigkeit kritischer Medien, um auf die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten aufmerksam zu machen.
Und die Gegenwart
Die heutige deutsche Medienlandschaft und die politische Rhetorik scheinen hingegen oft darauf ausgerichtet zu sein, Israels Aktionen als gerechtfertigte Selbstverteidigung darzustellen, unabhängig von den Konsequenzen für die Zivilbevölkerung. Dieser Ansatz führt zu einer verzerrten Wahrnehmung des Konflikts und blendet die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion aus.
Ein offener und ehrlicher Diskurs über die tatsächlichen Geschehnisse und die moralischen Grundlagen unserer Außenpolitik ist essentiell, um die Werte einer demokratischen und humanistischen Gesellschaft zu wahren. Leider zeigen führende deutsche Politiker und Medien zu oft eine einseitige Unterstützung, die komplexe internationale Beziehungen vereinfacht und kritische Stimmen marginalisiert.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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