Medienberichte im Bereich des Boulevard-Journalismus haben vordergründig die Absicht, porträtierte bekanntere “Persönlichkeiten” aus der Welt der Politik oder der Medien ins Gespräch zu bringen. Inwieweit die gesellschaftlich bekannte Person dabei in die Vorleistung einer vorherigen Kontaktaufnahme trat, obliegt rein dem spekulativen Moment. Das Boulevardmagazin Stern präsentierte nun seinen Lesern die etwas irritierende Geschichte eines zurückliegenden Erlebnisses der Linken-Bundesparteivorsitzenden Janine Wissler. Die Story erzählt von einem im Jahr 2022 erlebten aggressiven Überfall auf Wissler in Berlin, einer Bundestagsrede unter dem Einfluss von Schmerzmitteln bis zu “Morddrohungen von einem Mann” im Jahr 2020, die diese jedoch in Hessen erlebt.
Die Linken-Politikerin Wissler sitzt seit den Bundestagswahlen im September 2021 als Abgeordnete im Berliner Bundestag. Zuvor war sie Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im hessischen Landtag. Der sehr kurze Stern-Artikel, fast eine Mitteilung, trägt die Überschrift:
“Überfall – Wissler: ‘Hielt erste Bundestagsrede mit Beckenbruch'”
Der Leser erfährt einleitend, dass die Politikerin nach einem “Raubüberfall schon starke Schmerzen” hatte. Diesbezüglicher Leiden hätten “Schmerzmittel aber geholfen”. Nach dem Ereignis hätte sie auf eine Anzeige jedoch verzichtet, “auch weil ihr Vertrauen in die Polizei geschwächt ist”. So der Beginn des Artikels. Detaillierter heißt es dann:
“Ein Mann habe auf ihrem abendlichen Heimweg in Berlin versucht, ihr von hinten die Tasche zu entreißen, und habe sie dabei heftig zu Boden gestoßen. ‘ Ich hatte Schmerzen, konnte aber einigermaßen laufen. Erst Tage später stellte sich heraus, dass es ein Beckenbruch war. So habe ich meine erste Rede im Bundestag mit einer Gehirnerschütterung und einem Beckenbruch gehalten, ohne es zu wissen. Schmerzmittel sei Dank, hat es niemand gemerkt.'”
So weit, so unspektakulär, ein Alltagsereignis in der Hauptstadt. Eine diesbezügliche Anzeige gegen Unbekannt, allein aufgrund der anscheinend massiven körperlichen Attacke, wäre in dieser Geschichte erwartbar, ist jedoch nicht erfolgt. Dazu erklärt Wissler der Stern-Redaktion:
“Anzeige habe sie nicht erstattet, ‘weil ich ihn nicht hätte identifizieren können. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen’, sagte Wissler. ‘Und weil ich davor zurückschreckte, meine Adresse bei der Polizei anzugeben.'”
Wisslers Misstrauen gilt dabei aber eigentlich den hessischen Behörden. Dazu heißt es erläuternd beim Stern:
“Die Hessin Wissler hatte 2020 wie andere Prominente Morddrohungen von einem Mann erhalten, der sich in Anlehnung an die rechtsextremistische Terrorgruppe als “NSU 2.0″ ausgegeben hatte. Dem später Gefassten war es gelungen, die Privatadressen bei der Polizei zu erfragen.”
Die Linken-Politikerin glaube nun immer noch aktuell “nicht an einen Einzeltäter”. Dies jedoch nicht bezogen auf das brutale schwerwiegende Ereignis in Berlin im Jahr 2022, sondern auf die hessischen Ereignisse aus dem Jahr 2020. Wissler erklärt den Stern-Lesern: “Solange der Fall nicht restlos aufgeklärt ist, habe ich kein Vertrauen, dass meine Daten bei der Polizei sicher sind.”
Nun wird es etwas kompliziert in der Vermischung von weiteren Darlegungen seitens der Politikerin. Folgende Erklärungen finden sich jedoch nicht im Stern-Artikel, sondern in ausführlicheren Beiträgen, unter anderem bei t-online, beim Spiegel und beim RND. In dem Spiegel-Artikel sind zum Polizei-Misstrauen und dem Ereignis einer “NSU 2.0-Bedrohung” von Wissler folgende Erläuterungen zu finden:
“Damals wurde der Täter geschnappt: Er hatte die hessische Privatanschrift der Linken-Politikerin bei der Polizei abgefragt. Wie auch die von anderen Prominenten, die er anschließend bedrohte. ‘Für mich und die anderen Betroffenen ist bis heute nicht klar, wie der Täter, ein Erwerbsloser aus Berlin, über mehrere Polizeireviere so viele Adressen abfragen konnte. Und dass eine Polizeibeamtin, bei der er Daten abgefragt hat, selbst in rechten Chatgruppen unterwegs ist, scheint mir ein komischer Zufall zu sein’, sagte Wissler.”
Ob Wissler jetzt zwischen dem Berliner Ereignis und den Erkenntnissen aus Hessen eine Verbindung für sich erkennt, stellt keiner der Artikel dar. Das RND rundet unter dem Titel “Linken-Chefin Janine Wissler: Keine Anzeige nach Überfall, weil Misstrauen gegenüber Polizei” mögliche Gründe für die gesamte Berichterstattung zum Thema “Beckenbruch” abschließend ab, dies wiederum weder beim Stern noch beim Spiegel thematisiert:
“Was die Zukunft der Linkspartei angeht, ist Wissler allerdings zuversichtlich. Nach der Abspaltung des Sahra-Wagenknecht-Flügels gewinne die Partei wieder an Aufschwung und verzeichne pro Woche im Schnitt 300 Neueintritte.”
Laut RND-Zitat gibt Wissler zudem zu Protokoll, sie hätte “den Bruch nicht verhindern können”. Diese Erkenntnis bezog sich jedoch nicht auf den “Beckenbruch” nach brutalem Überfall, sondern auf den politischen Konflikt mit den Ex-Kollegen, die nun zum BSW gewechselt hätten.
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