Von Dagmar Henn
In ganz EU-Europa stellt die Wohnungsproblematik ein signifikantes und weitreichendes Thema dar, wie kürzlich auch der britische Guardian basierend auf Eurostats Bericht “Housing in Europe” bestätigte. Diese Herausforderung ist über die deutschen Grenzen hinaus anzutreffen und beeinflusst tiefgreifend das soziale Gefüge:
“In zahlreichen EU-Städten müssen Menschen zehn Jahre und länger auf eine Sozialwohnung warten; Paare in Ländern wie den Niederlanden, die mit einem Defizit von rund 400.000 Wohnungen kämpfen, verschieben bedeutende Lebensentscheidungen wie die Familienplanung oder sind gezwungen, nach einer Trennung weiterhin zusammenzuleben.”
Zwischen 2007 und 2019 ist das Alter, in dem junge Menschen typischerweise einen eigenen Haushalt gründen, von 26 auf 28 Jahre gestiegen – weniger aus mangelndem Wunsch nach Unabhängigkeit, sondern vielmehr aufgrund finanzieller Unerschwinglichkeit.
Diese finanzielle Drangsalierung betrifft sowohl Mieter als auch Käufer: Die Preise für Wohneigentum haben ähnlich stark zugenommen. Länder mit einer geringeren Mieterquote verzeichnen ebenfalls ein gestiegenes Alter für Wohneigentumserwerb. In Irland beispielsweise liegt dieses nun um vier Jahre höher als 2010, mittlerweile bei 39 Jahren. Im EU-weiten Durchschnitt steigt die Zahl der Mieter, obwohl immer noch etwa 69,1 Prozent der Bevölkerung im Besitz einer Immobilie sind.
Deutschland ragt mit dem höchsten Mieteranteil in der EU heraus. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sind Mieter. Zudem ist der Anteil der Menschen, die in Häusern statt in Wohnungen leben, mit 62,7 Prozent ebenfalls hoch und wird lediglich von Spanien mit 65,6 Prozent übertroffen. In Spanien liegt jedoch der Eigentümeranteil mit 76,6 Prozent deutlich über dem deutschen Wert.
Auffallend in der europäischen Statistik ist die Kategorie “Andere”, die alternative Wohnformen wie Hausboote oder Wohnwagen umfasst und zunimmt, wenn konventioneller Wohnraum knapp wird. Besonders die Niederlande und Litauen zeigen eine steigende Tendenz zu diesen Wohnformen, was auf die hohen Wohnungsknappheiten und Preissteigerungen zurückzuführen ist.
Im eurostatistischen Vergleich der in der Baubranche tätigen Unternehmen zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern zeigt sich eine bemerkenswert geringere Anzahl kleiner Unternehmen in Deutschland. Dies deutet auf eine Verbindung zwischen der Anzahl von kleinen Betrieben und der niedrigen Wohneigentumsquote hin.
In Deutschland fließt mit 7,3 Prozent des BIP ein herausragend hoher Anteil in den Wohnungsbau, sogar mehr als der EU-Durchschnitt von 6 Prozent. Trotzdem hat sich die Wohnsituation nicht gebessert, was auf die Fehlallokation der investierten Gelder hindeutet.
Einige Daten zu Mieten und Löhnen:
Zwischen 1914 und 1960 regelte in Deutschland eine gesetzliche Mietobergrenze den Wohnungsmarkt. Nach deren Abschaffung stiegen sowohl Mieten als auch Bodenpreise drastisch an. Heute wird der Mangel an Wohnungen in Deutschland auf 800.000 geschätzt, eine Zahl, die sich auf die großen Städte konzentriert.
Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1988 durch die Regierung Kohl ließ die Zahl der Sozialwohnungen von vier Millionen auf weniger als eine Million sinken. Die Entscheidung, Einzelmieten über Wohngeld zu subventionieren, statt Wohnungen selbst zu fördern, erwies sich als kurzfristige Lösung, die langfristig die Bodenpreise in die Höhe trieb.
Interessant ist der Vergleich der Mietbelastungsquoten über die Zeiten. 1960 zahlten 52,6% der Mieter weniger als 10% ihres Nettoeinkommens für Miete. Bis 1998 stieg dieser Anteil auf 24,5%. Trotz Lohnsteigerungen stieg die durchschnittliche Mietbelastung bis 2023 weiter an, während sich die Reallöhne kaum veränderten. Insgesamt hat die Mietausgabe somit erheblich mehr vom Haushaltseinkommen aufgezehrt.
Mögliche Lösungen?:
Die derzeitige Wohnproblematik befindet sich in einer Sackgasse, aus der unter bestehenden politischen Bedingungen kein Ausweg besteht. Zwei radikale Maßnahmen könnten jedoch helfen: eine Rückkehr zur gesetzlichen Mietobergrenze oder eine Vergesellschaftung des Grund und Bodens. Halbherzige Lösungen oder bloßes mehr Geld in den Wohnungsbau zu stecken, sind keine nachhaltigen Alternativen. Da sowohl politisch als auch wirtschaftlich stark vernetzte institutionelle Anleger involviert sind, würden einschneidende Maßnahmen wahrscheinlich ernsthafte ökonomische Folgen nach sich ziehen.
Weitere Informationen – 2023: Das Jahr, in dem Wohnen und Essen in Deutschland zum Luxus wurden