Von Dagmar Henn
Bevor er überhaupt das Amt des Kanzlers angetreten hat, macht bereits seine Rhetorik deutlich, welche finanziellen Belastungen auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen könnten. Es geht nicht nur darum, dass die Erhöhung des Mindestlohns in Frage steht, oder dass eine Unternehmenssteuersenkung sicher scheint, während dies für die Lohnsteuer nur vage angedeutet wird. Er hat auch öffentlich seine Absicht bekundet, die Preise für Heizöl und Erdgas drastisch zu erhöhen, um die Deutschen zum Austausch ihrer Heizsysteme zu bewegen. Dann bringt er auch noch die Taurus-Marschflugkörper ins Spiel.
Diesen Argumentationsstrang baut er auf den russischen Raketenangriffen auf Sumy auf. Es handelt sich um jene Angriffsmomente, die sogar unter ukrainischen Politikern zu Diskussionen führten. Das eigentliche militärische Ziel dieser Ansammlung wurde durch dessen öffentliche Bekanntmachung in der Stadt gefährdet. Solche militärischen Ereignisse haben oft einen hohen Preis, aber durch die offenen Diskussionen darauf über soziale Netzwerke war dieses Mal die Situation besonders prekär. Trotzdem gelang es den deutschen Hauptmedien, diese Wahrheiten weitestgehend auszublenden.
Merz bezeichnete diesen Vorfall in einem Interview mit Carmen Miosga als ein “eindeutiges Kriegsverbrechen”. Die Moderatorin ergänzte dies durch einen Ausschnitt aus einer früheren Bundestagsrede von Merz, in der er bereits über den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern spekulierte. Zudem schlug Merz vor, die wichtigste landgestützte Verbindung zwischen Russland und der Krim zu zerstören ‒ gemeint ist wohl die Brücke von Kertsch, auch wenn er sich geografisch irrte.
Die Aussage fand schnell Beifall bei Kaja Kallas, der estnischen Bürgermeisterin, und andere politische Akteure stimmten ein, ohne die Tragweite für Deutschland zu bedenken. Merz scheint zu glauben, dass die Unterstützung anderer europäischer Länder für solche Maßnahmen von Bedeutung sei:
“Ich habe immer gesagt, dass ich das auch nur in Abstimmung mit den europäischen Partnern tun würde, die europäischen Partner liefern bereits Marschflugkörper, die Briten tun das, die Franzosen tun das, die Amerikaner tun es ohnehin. Das muss abgestimmt werden, und wenn es abgestimmt wird, dann sollte Deutschland sich daran beteiligen.”
Neben geopolitischen Bedenken gibt es eine andere wichtige Hürde: die Feindstaatenklauseln der UN-Charta, die in den Artikeln 53 und 107 noch immer Bestand haben. Ein deutscher Angriff auf russisches Territorium könnte daher als Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs angesehen werden, was direkte rechtliche Konsequenzen hätte.
Generell steckt Merz mit seinen Vorschlägen in einem Dilemma ‒ auch in Anbetracht der zu erwartenden scharfen Reaktionen aus China und möglicherweise auch den USA, sollte die neue Bundesregierung derartige Aktionen unabhängig durchführen. Es steht die Frage im Raum, ob Merz die schwerwiegenden rechtlichen und diplomatischen Implikationen seiner Vorschläge vollständig begreift oder nicht einfach nur ein harsches politisches Spiel spielt.
Insgesamt steht Deutschland möglicherweise vor einer Kanzlerschaft, die von gefährlichen und unkalkulierbaren politischen Manövern geprägt sein könnte. Die Äußerungen und Pläne von Merz sollten daher gründlich überdacht und die potenziellen Konsequenzen klar kommuniziert werden, bevor irreversible Entscheidungen getroffen werden.
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