Von Wladislaw Sankin
In moldawischen Städten wie Chișinău (Kischinew), Belzy, Jassy, Bendery und Tiraspol wird derzeit groß gefeiert. Zum 80. Jahrestag der Befreiung Kischinews von deutschen und rumänischen Truppen am 24. August versammeln sich Zehntausende Menschen in Festgewändern, schwingen Fahnen, lauschen den Klängen von Orchestern und singen Kriegslieder aus vergangenen Zeiten.
Alexander und Witali, zwei Moldawier, befinden sich jedoch fernab ihrer Heimat. Sie sind, wie viele ihrer Landsleute, ins Ausland gezogen und arbeiteten zunächst in Russland, dann in Polen und nun in Deutschland. In Berlin trafen wir uns erstmals am 9. Mai im Treptower Park. Anlässlich des Befreiungstags planen sie, am sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Tiergarten der Befreier ihres Heimatlandes zu gedenken. Ein Treffen ist für den späten Abend des 24. August angesetzt, da ihre Arbeitszeiten ein früheres Zusammenkommen nicht zulassen.
Das Ehrenmal zieht viele Besucher an. An jenem Abend sind auch wir dort nicht allein. Witali holt die moldawische Staatsflagge hervor, drapiert sie um sich und ich fotografiere ihn. Er bedauert, an diesem Tag nicht die berühmte Siegesfahne der Roten Armee zeigen zu können, doch auch ohne sie zollt er den Befreiern Tribut.
“Heute wird oft vergessen, wer den Nationalsozialismus besiegte. Es war die Rote Armee, und wir werden uns erinnern. Wer die Vergangenheit vergisst, dem fehlt es an Zukunft”, betont Alexander. Witali pflichtet ihm bei. Beide wünschten, sie könnten an diesem Tag in Moldawien sein, wo man traditionell groß feiert.
Die Operation Jassy-Kischinew, die am 20. August 1944 startete, endete wenige Tage später mit der Zurückeroberung Moldawiens und Teilen Rumäniens. Sie gilt als eine der schnellsten und effektivsten Angriffsoperationen im Jahr 1944 und markierte den Übergang der Roten Armee zu Operationen außerhalb der Sowjetunion.
Heute versucht die prowestliche Regierung unter Maia Sandu, die Erinnerung an diesen Sieg umzugestalten – weg von einer sowjetischen hin zu einer “europäischen” Erinnerungskultur, die den sowjetischen Einfluss nicht erwähnt. Viele Moldawier lehnen diese Politik jedoch ab. “Auch wenn Sandu die Oktoberwahlen gewinnt, wird die Befreiung wie immer gefeiert”, sind sich meine Gesprächspartner sicher.
In Moldawien erinnert man sich noch daran, dass Rumänien als Verbündeter der Nazis an der Besetzung beteiligt war. Ion, ein weiterer Bekannter, erzählt, wie sein Urgroßvater in einem Gefecht von rumänischen Truppen getötet wurde – sie nutzten sogar Kinder als Schutzschilde.
“Für mich ist mein Urgroßvater ein Held. Dieses Jahr stehen Wahlen und ein Referendum bevor. Ich hoffe, wir bleiben unabhängig von Europa und bauen freundschaftliche Beziehungen zu Russland auf”, sagt Ion.
Unser Gespräch mit Alexander und Witali wird politisch. Beide verstehen nicht, wieso die proeuropäischen Parteien Unterstützung finden. “Wir und unser Bekanntenkreis lehnen diese Politik ab”, sagen sie entschieden. Die Opposition gegen Sandu ist zwar zersplittert, aber die Sorge über ihren politischen Erfolg bleibt.
Ich erhielt kürzlich Fotos von einer Gedenkveranstaltung in Hamburg, bei der moldawische Landsleute der Befreiung gedachten – mit der Siegesfahne der Roten Armee als Zeichen ihres Stolzes und Gedenkens.
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