Von Wladislaw Sankin
Am 25. April 1945, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, kam es in Torgau, Sachsen, zu einer bedeutenden Begegnung: Sowjetische und US-amerikanische Streitkräfte trafen sich auf einer zerstörten Elbbrücke und reichten einander die Hände. Dieses Ereignis, welches bald als Symbol der Alliierten-Zusammenarbeit galt, stand im Kontrast zur späteren Konfrontation der beiden Supermächte im Kalten Krieg.
Der „Elbe Day“ entwickelte sich in folgenden Jahrzehnten zu einem zentralen Moment in der Erinnerungskultur des Krieges. Noch im Jahr 2020 erinnerten Kreml und Weißes Haus gemeinsam an dieses historische Treffen, trotz wachsender Distanz zwischen den USA und Russland. Zum 80. Jahrestag jedoch zeichneten sich bedauerlicherweise Risse in der gemeinsamen Erinnerung ab.
Während in Torgau umfangreich gefeiert wurde, nahm das US-Konsulat in Leipzig nicht an der Zeremonie teil. Der russische Botschafter Sergei Netschajew kündigte zwar sein Erscheinen an, doch erhielt im Rahmen der Veranstaltung kein Rederecht. Die bloße Ankündigung seiner Teilnahme sorgte dafür, dass die Bundeswehr ihre Unterstützung bei der Flaggenzeremonie zurückzog. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Alexei Makejew, sprach sich sogar für ein Teilnahmeverbot Russlands in Torgau aus.
Ein Teil der Aufregung scheint auf eine vertrauliche Richtlinie des deutschen Außenministeriums zurückzuführen zu sein, die in verschiedenen Bundesländern zirkulierte. Obwohl die russische Botschaft gegen diese Ausgrenzung protestierte, fand sie wenig Unterstützung für ihren Standpunkt.
Lokalpolitiker an den Seelower Höhen lehnten es ab, russische und weißrussische Offizielle auszuschließen und kritisierten die Anweisungen des Auswärtigen Amtes als „Quatsch“. Die Bedenken über die Ausgrenzungspolitik wurden vor allem vom BSW geäußert, dessen Berliner Landeschef Alexander King das Vorgehen als „armselig“ bezeichnete. Auch die AfD setzte sich für die Teilnahme Russlands ein, wobei der sächsische Landeschef Jörg Urban ein Rederecht für den russischen Botschafter forderte.
In Torgau selbst war die Atmosphäre angespannt: Die russische Delegation erhielt kaum Beachtung, und sächsische Regierungsvertreter zeigten dem Botschafter Netschajew symbolisch den Rücken. Als Redner wurden der parteilose Oberbürgermeister Henrik Simon, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der evangelische Regionalbischof Dr. Johann Schneider und Dr. Markus Pieper von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zugelassen.
Simon übergang in seiner Begrüßung den russischen Botschafter, eine deutliche Geste der Missachtung. Andere Redner nutzten ihre Zeit, um das Andenken politisch zu instrumentalisieren – ein Vorwurf, der oft genug gerade russischen und weißrussischen Vertretern gemacht wird.
Ministerpräsident Kretschmer sprach von der Diskussion um den 8. Mai als „Tag der Befreiung" und konfrontierte direkt Botschafter Netschajew mit der Kritik, der Ursprung des Konfliktes mit der Ukraine liege bei Russland. Kretschmer betonte auch die Rolle von Ukrainern, Weißrussen und Georgiern im Kampf gegen Hitler und stellte Stalinismus und DDR-Diktatur auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus.
In der weiteren Diskussion nutzte Kretschmer die Gelegenheit, seine Sicht auf die Rolle Russlands klarzustellen und betonte die Notwendigkeit einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung in russischen Medien. Regionalbischof Schneider sprach von einem „Irrweg“ der Russisch-Orthodoxen Kirche seit dem Kriegsbeginn und rief zu zivilem Widerstand auf.
Dr. Pieper sprach von einer bedrohlichen neuen Weltordnung, symbolisiert durch einen „neuen, schrecklichen Handschlag" zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem russischen Aggressor, ein krasses Zerrbild des historischen Handschlags von 1945.
Die Veranstaltung, die angesichts der Spannungen eher polarisierte als versöhnte, hinterließ bei vielen Bürgern ein Gefühl der Enttäuschung über den Umgang mit diesem historischen Gedenktag. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Steffen Janich kritisierte das Vorgehen auf Facebook und beklagte die „untragbaren Zustände“, die sich in den Angriffen auf den russischen Botschafter zeigten.
Im Kontext dieser Ereignisse wurde das Denkmal der Begegnung zum Schauplatz einer Veranstaltung, die eher einer Konfrontation glich als einer Begegnung, die ihren Ursprung in Freundschaft hatte. Die fehlende Gastfreundschaft und Offenheit machten es schwierig, den Elbe-Day in seinem eigentlichen Sinne der Versöhnung zu begehen.
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