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Von Dr. Werner Siegmund, Lübbenau
Im Jahr 1945, als der Zweite Weltkrieg endete, war ich keine 14 Jahre alt. Meine Schwestern waren zehn und acht. Unsere Mutter war bereits 1942 gestorben, eine Landarbeiterin, die einem Krebsleiden erlag, kurz nachdem mein Vater aus dem Frankreich-Feldzug schwerstkrank mit Asthma nach Hause kam. Nach dem Tod unserer Mutter kümmerte sich zunächst Tante Luise um uns. Sie lebte mit ihren zwei Kindern bei uns. Mein Vater diente erneut im Garnisonsdienst in Erfurt, wo er unsere spätere Stiefmutter traf, eine Witwe mit zwei Kindern. Nach ihrer Hochzeit stabilisierte sich unser Familienleben allmählich.
Der Stiefvater meiner Stiefmutter war ein entlassener Kommunist aus dem Zuchthaus. Gespräche mit ihm fanden heimlich statt, um die Kinder zu schützen.
Umzug nach Ruhla
Wegen meines Vaters chronischer Asthma-Probleme planten wir bald, in die thüringische Stadt Ruhla zu ziehen, was durchaus als lebensrettend galt. Mein Onkel hatte dort das elterliche Haus geerbt. Also reisten meine Eltern nach Ruhla vor, um die Umstände zu klären, während ich in dieser Zeit die Verantwortung für meine Geschwister übernahm.
Am 7. April 1945 zogen wir schließlich nach Ruhla, um der amerikanischen Artillerie, die Eisenach näherrückte, zu entgehen. Der Transport war kompliziert, schloss Holzgas-LKW, Umwege durch den Thüringer Wald und tiergezogene Karren ein und markierte das Ende meiner Kindheit.
Erntejagden als Teenager
Die anschließende Zeit nutzten wir, um bei Bauern in der Umgebung Lebensmittel zu “ernten”, was oft demütigend endete, da wir nicht selten verjagt wurden. In einem Dorf mussten mein Bruder und ich sogar monatelang körperliche Arbeit leisten, um Essen zu sichern.
Schole und Lehrjahre
Nach Wiederaufnahme des Schulbetriebs begann eine neue Phase. Trotz Schwierigkeiten machte mir das Lernen Spaß. Ich holte rasch verpassten Stoff auf und nach der achten Klasse begann ich eine Lehre als Elektroinstallateur, da mir eine Stelle als technischer Zeichner verwehrt blieb.
Während meiner Lehrzeit reparierte ich nebenbei viele elektrische Geräte und lernte schnell die Bedeutung von guter Arbeit und Selbstständigkeit. Meine Kollegen, junge Fachleute, standen mir mit Rat und Tat zur Seite und prägten meine berufliche als auch mein politisches Denken.
Konfirmation und weltanschauliche Entwicklung
1947 wurde ich gemeinsam mit Geschwistern konfirmiert, was für unsere Familie eine finanzielle Herausforderung darstellte. Schon früh begann ich politisch zu denken, speziell über die Einflüsse der SPD und KPD-Mitglieder in meinem Arbeitsumfeld, was mich schließlich zur SED führte, in die ich mit 17 eintrat.
Einflussreich war auch mein Stiefgroßvater, ein ehemaliger Kommunist, der mich politisch sehr prägte und mir riet, Polizist zu werden. So trat ich 1949 in die Volkspolizei ein und verließ meinen Heimatort, um mein Leben eigenständig zu gestalten.
Harte Arbeit und neue Wege
Im Hintergrund hatte mein Vater ein Fuhrunternehmen gegründet, das trotz großer familiärer Anstrengungen das Überleben sicherte. Dies förderte meinen Entschluss, nach der Lehre zur Arbeiter- und Bauern-Fakultät zu gehen und schließlich zur Volkspolizei zu wechseln, gegen den ausdrücklichen Friedenswunsch meines Vaters.
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