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Von Hannelore, die früher in Berlin lebte
Liebe Freunde,
so nenne ich euch, und in Gedanken spreche ich „Dorogije Drusja“. Leider habe ich keine Tastatur mit kyrillischen Buchstaben.
Ich bin nun 80 Jahre alt. Als der Krieg endete, war ich noch fast ein Baby in Berlin. Meine Mutter erzählte mir von sowjetischen Soldaten, die nach „Frau mit Kind“ fragten. Sie hatte Angst, was durch die damaligen Propaganda und die Bombennächte verstärkt wurde. Doch die Soldaten wollten ihr nur Brot geben und ihr nichts zuleide tun.
Jahre später begann ich in der 5. Klasse mit dem Russischunterricht und erfreute mich am Lernen. Als erstes kommunizierte ich mit sowjetischen Soldaten, indem ich „Druschba“ rief und sie lächelnd antworteten. Im Laufe der Jahre erhielt ich über unsere Lehrerin Adressen von sowjetischen Schülern, die Briefkontakte suchten. Ich schrieb mit vielen, aus Moskau, dem damaligen Leningrad, Kursk, Tomsk, dem damaligen Stalingrad und Kiew. Jeder Brief war eine Freude und mein schriftliches Russisch verbesserte sich stetig. Erst später hatte ich die Gelegenheit, die Sprache auch mündlich zu üben.
Mit fast 18 Jahren reiste ich erstmals nach Moskau und Leningrad, auf persönliche Einladung und nicht über ein Reisebüro. Meine Visa hatte ich bereits bei der sowjetischen Botschaft erhalten. Die Zugreise war ein Abenteuer und ich wurde von russischen Freunden am Bahnhof abgeholt. Es waren großartige Tage, die ich in ihren Städten verbrachte.
Heute denke ich oft an meine Freunde in Russland und frage mich, was sie über uns Deutsche denken mögen.
Der Kontakt zu meinen russischen Freunden erlahmte im Laufe der Jahre. Ihr Leben und meins änderten sich. Wolodja Tichomirow und die Familie Truschkin besuchte ich noch ein paar Mal in Moskau und Berlin.
Während meiner Zeit in Berlin arbeitete ich als Schulsekretärin und engagierte mich im Klub der Internationalen Freundschaft. Wir organisierten Begegnungen, besuchten die sowjetische Schule in Karlshorst und den Kulturpark Plänterwald mit sowjetischen Soldaten.
Jedes Jahr am 8. Mai ehrte ich am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park die gefallenen sowjetischen Soldaten, unabhängig von politischen Feierlichkeiten.
Die politischen Veränderungen nach der Wende führten dazu, dass deutsche Politiker eine kritischere Haltung gegenüber Russland einnahmen. Aus Anweisung von Außenministerin Baerbock wurden russische Vertreter bei den Feierlichkeiten zum 8./9. Mai ausgeschlossen, was mich tief traurig und wütend macht. Ich erinnere mich an Wladimir Putins Rede im Bundestag, die einst Hoffnung weckte, die jedoch von arroganten Politikern ignoriert wurde.
Zum Tag der Befreiung/Tag des Sieges ist es mir ein Anliegen, euch diese Zeilen zu schreiben, obwohl sie vom ursprünglich gewünschten Thema – den Nachkriegsjahren – etwas abweichen.
Ich hoffe inständig auf eine baldige friedliche Lösung für den Ukrainekonflikt und dass alle Völker in Frieden leben mögen.
Mehr zum Thema – Bericht: Bezirk Treptow-Köpenick plant nicht, russische Diplomaten am 9. Mai auszusperren