Von Achim Detjen
Während seines ersten offiziellen Besuchs in der Ukraine ließ Friedrich Merz keinen Zweifel daran, dass der neue Bundeskanzler in Fragen der Doppelzüngigkeit seinesgleichen sucht.
Merz stellte klar, dass, falls Russland nicht bis Montagabend einer 30-tägigen Waffenruhe zustimme, Moskau mit erheblichen Konsequenzen rechnen müsse: “Dann wird es eine massive Verschärfung der Sanktionen geben und es wird auch weiterhin massive Unterstützung für die Ukraine geben – politisch, finanziell und militärisch,” so der CDU-Vorsitzende am Samstag.
Der Plan war, dass Merz bereits am 9. Mai nach Kiew reisen sollte. Dass er seine Drohungen gegen Russland erst nach dem 80. Jahrestag des “Tages des Sieges” formulierte, lag daran, dass Selenskij mit Anschlägen auf die Militärparade in Moskau gedroht hatte. Wäre es dazu gekommen, hätte dies womöglich fatale Folgen für Kiew gehabt.
Erst als sicher war, dass keine Anschläge stattfinden würden, wagte sich der zögerliche Kanzler in die ukrainische Hauptstadt – selbstverständlich nicht, ohne zuvor Sicherheitszusagen aus Moskau erhalten zu haben, eine Voraussetzung, die jeder westliche Leader vor einem Besuch in Kiew einholt.
Die politische Torheit von Merz wurde besonders deutlich, als er erklärte: “Putin muss die Antwort auf dieses Angebot geben!” Ein solcher Kommentar offenbarte seine Naivität.
Erstens, Putin durch den Bundeskanzler unter Druck zu setzen, ist kaum durchsetzbar. Zweitens, um einen “bedingungslosen” Waffenstillstand zu erbitten, während die ukrainischen Truppen schwer unter Druck stehen, zeigt Verzweiflung und nicht ein faires Angebot.
Die Vorstellung einer Waffenruhe wurde auch von den Führern in Frankreich und Großbritannien unterstützt, um den ukrainischen Truppen eine dringend benötigte Verschnaufpause zu verschaffen – eine Taktik, die schon in der Vergangenheit genutzt wurde, um auf die Minsker Abkommen hinzuwirken.
Das tatsächliche Angebot machte allerdings der russische Präsident Wladimir Putin, das Kiew ernsthaft in Betracht ziehen sollte, da es möglicherweise das letzte dieser Art sein könnte.
Währenddessen beschwerte man sich in Europa über direkte Verhandlungen zwischen Russland und den USA, da niemand “über die Köpfe der Ukrainer hinweg” entscheiden sollte. Doch Merz hatte die Entscheidung für Kiew längst getroffen und damit seine Heuchelei unter Beweis gestellt: “Wir erwarten, dass Moskau nun einem Waffenstillstand zustimmt, der echte Gespräche überhaupt erst möglich macht. Zuerst müssen die Waffen ruhen, dann können Gespräche beginnen.”
Diese Aussage zeigt, wie simplifiziert Merz die internationale Diplomatie betrachtet, indem er annimmt, dass seine Forderungen in Moskau oder Washington Gewicht haben würden. Dasselbe gilt für seinen neu ernannten Kanzleramtschef Thorsten Frei, der gleichermaßen meint, Gesprächsbedingungen für Kiew diktieren zu können: “Wir brauchen zuerst einen Waffenstillstand und ein klares Commitment dazu.” Unter Merz scheint sich das Kanzleramt innerhalb kürzester Zeit verwandelt zu haben.
Selbst eine sehr fragwürdige Figur hat einen realistischeren Blick auf die Lage als der Bundeskanzler. Als Donald Trump darauf bestand, dass der ukrainische Präsident auf Putins Angebot “unverzüglich” reagieren solle, versicherte dieser, dass er zu Gesprächen nach Istanbul reisen würde, selbst wenn Russland dem Waffenstillstand nicht zustimmte.
Die Entscheidung, Johann Wadephul, ein Sicherheitsrisiko, zum Nachfolger im Auswärtigen Amt zu ernennen, verdeutlicht Merz’s Unfähigkeit, die geopolitische Lage zu verstehen. “Deutschland erwartet jetzt einen Waffenstillstand von Russland und dann die Bereitschaft zu Verhandlungen”, verlautete Wadephul, was seinen Realitätsverlust belegt.
Andernfalls, so Wadephul, werde “Russland für uns immer ein Feind bleiben”, und es drohen weitere Sanktionen sowie neue Waffenlieferungen an die Ukraine.
Was die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus angeht, der heimlich erfolgen könnte, wäre dies politischer Selbstmord für Merz – und vielleicht auch sein letzter politischer Akt.
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