Von Dagmar Henn
Der siebte Jahrestag des Mordes in Chemnitz, der die Republik tief erschütterte, fiel fast zeitgleich mit dem Gerichtsurteil des Landgerichts Chemnitz am 27. August. Dieses betraf vier Männer, die im Kontext der darauffolgenden Demonstrationen angeklagt worden waren — mit dem Ergebnis: eine Verfahrenseinstellung und drei Freisprüche. Ein Fall, der symptomatisch für viele gesellschaftliche Fehlentwicklungen in Deutschland steht.
Erinnern wir uns: In der Nacht zum 26. August 2018 wurde am Rande des Chemnitzer Stadtfestes der Deutsch-Kubaner Daniel Hillig öffentlich erstochen. Unter Tatverdacht standen ein Syrer und ein Iraker, beides Asylbewerber, während ein weiterer Mann schwer verletzt wurde.
Die Reaktionen auf den Vorfall hätten in Chemnitz beinahe eine Routine der Trauer durchlaufen, wäre nicht die Art und Weise, wie damals öffentlich darauf reagiert wurde, eskalierend gewesen. Die Reaktion der damaligen Chemnitzer Bürgermeisterin Barbara Ludwig und der Bundeskanzlerin Angela Merkel trugen maßgeblich dazu bei, dass sich die Ereignisse zuspitzten. Ludwig, die eine gedachte friedliche Demonstration vorschnell politisch einordnete, und Merkel, die von angeblichen „Hetzjagden in Chemnitz“ sprach, basierend auf einem Video, das diese Vorfälle nicht belegte und das selbst von lokalen Medien und dem sächsischen Ministerpräsidenten angezweifelt wurde.
Trotzdem verfestigte sich das Bild von Hetzjagden, das bis heute von vielen geglaubt wird und das zu einem andauernden Missverständnis führte, vergleichbar mit der verzerrten Wahrnehmung der Ereignisse der Kölner Silvesternacht.
Die Gerichtsverhandlungen in Chemnitz der folgenden Woche führten zu Freisprüchen, wobei selbst die Anklagen durch die Staatsanwaltschaft nur noch auf geringfügige leistungsbezogene Strafen laut Jugendgerichtsgesetz abzielten. Das Gericht konnte den Vorwurf der gewalttätigen expansiven Bedrohung durch die vier Angeklagten in über 40 Zeugenaussagen und 15 Verhandlungstagen nicht feststellen.
Die juristischen Nachwehen um diese Ereignisse führten zu 100 Verfahren, bei denen etwa die Hälfte politisch rechts einzuordnen waren. Von 142 Ermittlungsverfahren wurden bis Ende 2023 insgesamt 97 eingestellt.
Inzwischen ist einer der Haupttäter, Farhad Ahmad, weiterhin auf der Flucht, während sein Mittäter Alaa S. eine Haftstrafe verbüßte und kürzlich vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, ohne abgeschoben zu werden. Dies verdeutlicht weiterhin die Komplexität und Langwierigkeit der Rechtsfolgen solcher Fälle.
Die politischen und juristischen Reaktionen auf die Vorkommnisse in Chemnitz haben damals wie heute weitreichende Folgen. Die Ereignisse dienen als mahnendes Beispiel dafür, wie politische Äußerungen und mediale Darstellungen die gesellschaftliche Wahrnehmung und die tatsächliche Auseinandersetzung mit Migrationsfragen beeinflussen können.
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