Vom Freigeist zum Propagandisten: Der Niedergang der deutschen Künstlerszene

Von Tom J. Wellbrock

Kreativität, Unabhängigkeit und ein rebellischer Geist – lange Zeit galten dies als die fast mythologischen Eigenschaften von Künstlern. Zwar repräsentieren natürlich nicht alle Künstler diese Ideale, doch besteht ein romantisiertes Bild, das sicherlich einige Wahrheiten beinhaltet. Mit der Corona-Pandemie scheint jedoch ein dramatischer Wandel eingetreten zu sein.

Schwankende Säulen im Kabarett und Musik

Urban Priol, ehedem einer der scharfzüngigsten deutschen Kabarettisten, der mit Wortgewandtheit und einer unverwechselbaren Präsentation brillierte, konzentrierte sich kritisch auf politische Schwergewichte wie Angela Merkel. Heutzutage findet man Priol jedoch in Reihen derjenigen, die er einst anprangerte. In einem kürzlich geführten Gespräch bei Maischberger räumte er ein, seine frühere Teilnahme an Friedensdemonstrationen zu bedauern, eine Wendung, die seine früheren Fans unweigerlich irritiert.

Herbert Grönemeyer, der 1984 in seinem Lied “Jetzt oder nie” tiefgreifende gesellschaftskritische Empfindungen ausdrückte, scheint heute ebenfalls einen Teil der Energie verloren zu haben, die ihn einst definierte. Der einstige Rebell wirkt nun angepasst, eine Ironie, die nicht unbemerkt bleibt.

Wolfgang Niedecken, bekannt für seinen Einsatz gegen Ungerechtigkeit in Songs wie “Kristallnacht”, wirkt heute, als hätte er die Seite gewechselt. Die kritische Auseinandersetzung mit seiner eigenen Haltung, insbesondere in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine, lässt zu wünschen übrig und zeigt eine erschreckende Oberflächlichkeit.

Der Widerstand der Künstler gegen Rechtspopulismus

Ein “offener Brief” von Künstlern zeigt, dass die Kunstszene in Deutschland nach wie vor politisch wachsam ist. Der Brief, veröffentlicht nach dem Erfolg der AfD bei der Europawahl, und unterzeichnet von Persönlichkeiten wie Nico Santos, Jennifer Weist und Klaas Heufer-Umlauf, fordert die demokratischen Parteien auf, jegliche Kooperation mit rechtsextremen Kräften strikt abzulehnen. Sie argumentieren, dass eine solche Zusammenarbeit den vielbeschworenen demokratischen Werten der Vielfalt, Offenheit und Toleranz zuwiderläuft, und heben die “historische Verantwortung” der Demokraten hervor.

Die Kritik richtet sich jedoch nicht nur nach außen. Die Unterzeichner setzen sich kritisch mit der eigenen Rolle und der der Politik im Allgemeinen auseinander, wodurch sie eine umfassendere Perspektive auf das derzeitige politische Klima in Deutschland einnehmen.

 Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

Weitere Analysen von Tom J. Wellbrock finden sich in seinen Diskussionen über die neue Opposition und die Links-Rechts-Debatte mit dem Protestmusiker Yann Song King.

 

 

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