Von Dagmar Henn
Es mag zunächst verwunderlich klingen, doch die Mathematik spielt in der Politik eine größere Rolle als angenommen. Politische Täuschungen basieren häufig darauf, numerische Daten zu vermeiden, Sachverhalte zu verdrehen oder Größenverhältnisse zu verschleiern.
Betrachten wir ein zeitnahes Beispiel: Die FDP schlägt vor, das Bürgergeld zu kürzen, da die Inflation gesunken sei. FDP-Fraktionschef Christian Dürr nutzt dabei aus, dass viele nicht bedenken, dass vorherige Inflationen weiterhin nachwirken – die Preise steigen lediglich langsamer. Dies wird oft übersehen, wenn das Thema abstrakt diskutiert wird. Der momentane Inflationswert von 2,3 Prozent hat in realen Beträgen eine andere Bedeutung als im Jahr 2021.
Inflation ähnelt der Zinsberechnung: Die Berechnungsgrundlage ändert sich. Ein Anstieg von 100 auf 150 bedeutet, dass sich 2,3 Prozent auf den neuen Wert, nicht den ursprünglichen, beziehen. Auf die ursprüngliche Basis angewendet, wären das bereits 3,45 Prozent.
Insbesondere in den Bereichen Nahrungsmittel und Energie sind deutliche Preissteigerungen zu beobachten. Das Statistische Bundesamt setzt das Jahr 2020 als Basis an, auf der Nahrungsmittelpreise auf 132,8 und Energiepreise auf 148,8 gestiegen sind. Diese Werte liegen bedeutend über denen von vor vier Jahren.
Doch wer behält solche Berechnungen im Kopf, wenn er die Nachrichten hört? Meist werden diese nicht thematisiert, dabei könnten sie die Wahrnehmung und das Verständnis maßgeblich beeinflussen.
Zurückblickend auf die Wiedervereinigung der Krim mit Russland 2014, wird im Westen oft von einem russischen Putsch gesprochen. Dabei wird selten erwähnt, dass viele Krimbewohner sich als Russen fühlten und ein Referendum befürworteten. Ein entscheidender Vorfall war der Überfall auf Antimaidan-Demonstranten, was unter den Einwohnern der Krim viel Aufmerksamkeit erregte. Mit 2,3 Millionen Einwohnern ist die persönliche Betroffenheit und die Verbreitung durch persönliche Netzwerke intensiver als es offizielle Nachrichten jemals könnten.
Zahlen spielen auch hier eine entscheidende Rolle für das Verständnis der Dynamik vor Ort, die ohne russisches Zutun zu einem schnellen Referendum führte.
Betrachten wir ein anderes Beispiel, das die Verhältnismäßigkeit verdeutlicht: In den deutschen Medien findet man relativ wenig Kritisches über den israelischen Krieg in Gaza im Vergleich zu Berichten über russische Kriegsverbrechen. Wenn man die Größe der Ukraine mit der von Gaza vergleicht, wird klar, dass die Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Bevölkerungsmenge in Gaza weitaus größer ist.
Wie groß die Bevölkerung der Ukraine heute ist, kann kaum präzise bestimmt werden; Schätzungen liegen zwischen 25 und 30 Millionen. Gaza, mit etwa zwei Millionen Einwohnern, und der lang andauernde Konflikt dort verdeutlichen Ungleichheiten in der Wahrnehmung von Konflikten weltweit.
Als weiteres Beispiel der Manipulation mit Zahlen dient der Dauerbrenner um die von der NATO geforderten 2,5 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben. In Wirklichkeit handelt es sich hier um etwa ein Viertel des Bundeshaushalts – ein erheblicher Anteil, der erst in diesem Kontext seine tatsächliche Tragweite offenbart.
Zahlen sind insbesondere in der Politik ein mächtiges Werkzeug, das jedoch auch irreführend eingesetzt werden kann. Eine kritische und genaue Betrachtung ist daher unerlässlich, um nicht den Fehlinformationen zu erliegen. Nur durch Aufmerksamkeit und kritische Reflexion kann man derartigen Täuschungen entkommen. Dies verdeutlicht einmal mehr, wie essenziell ein solides mathematisches Verständnis im Alltag ist.
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