Von Gert Ewen Ungar
In der deutschen Medienlandschaft wird immer öfter der Vorwurf laut, dass viele Bürger „falsche“ politische Entscheidungen treffen, gemessen an der etablierten Mainstream-Meinung. Die Zeit-Kolumnist Michael Thumann führt dies auf eine überraschend einfache Ursache zurück: Russlands Präsident Wladimir Putin. Diese Schuldzuweisung wirkt einfallslos und ist ein Beispiel dafür, dass anstelle von tiefgreifender Analyse eher auf Propaganda und das gezielte Kritisieren von Russland und China gesetzt wird. Wie Thumann und andere Medien mit Verschwörungstheorien argumentieren, zeigt das folgende Zitat:
„Etwa, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mehrere Luxusjachten besitzt und in der ehemaligen Villa von Joseph Goebbels wohnt. Oder dass die USA in der Ukraine ‚Biowaffenlabore betreiben‘ würden. Oder dass Olaf Scholz zum ‚Mitarbeiter des Monats‘ in der US-Botschaft Berlin gekürt worden sei. Oder dass Deutschland ohne billiges russisches Gas nicht überleben könnte.“
Diese Behauptungen entbehren nicht einer gewissen Grundlage: Die EU hat hohe Korruption in der Ukraine bestätigt, US-Außenstaatssekretärin Victoria Nuland hat Forschung an Biokampfstoffen in der Ukraine eingeräumt, und die Probleme Deutschlands seit Beginn der Sanktionen gegen Russland sind offensichtlich.
Thumann kritisiert vor allem Russland für eine angebliche Desinformationskampagne. Dies spiegelt eine typisch deutsche Tendenz wider: statt Fehler einzugestehen und Kurskorrekturen vorzunehmen, werden externe Sündenböcke gesucht. Zudem stützt sich Thumann auf Behauptungen US-amerikanischer Geheimdienste über russische Einmischungen in Wahlen, eine These, die bisher wenig Belege gefunden hat und dennoch wiederholt wird. Diese journalistische Vorgehensweise von Thumann wirft Fragen hinsichtlich seiner Quellenwahl und journalistischen Sorgfalt auf.
Doch Deutschland hat ganz eigene Herausforderungen: Die Gesellschaft steht unter enormem Druck, und viele Menschen sind sich der Probleme in NATO-Strukturen und der aktuellen Regierungspolitik bewusst. Die Fähigkeit zur selbstkritischen Korrektur in Politik und Medien fehlt jedoch weitgehend. Dies führt zu einer Entfremdung von der Realität vieler Bürger.
Thumanns Kolumnen mögen symptomatisch sein für eine gewisse journalistische Erschöpfung, die den Verlust der Deutungshoheit des Mainstreams deutlich macht. Diese Entwicklung könnte jedoch auch Chancen für einen Journalismus bieten, der sich mehr an Objektivität und ausgewogener Berichterstattung orientiert. Aktuell dominiert jedoch das Fortspinnen von Verschwörungsnarrativen, was der Qualität des Journalismus in Deutschland abträglich ist.
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