Von Anton Gentzen
Um den letzten körperlich ausgeführten Putschversuch in der deutschen Geschichte zu finden, muss man über ein Jahrhundert in den historischen Annalen zurückgehen. Die historischen Ereignisse des Kapp-Lüttwitz-Putsches entfalteten sich vom 13. bis zum 17. März 1920, angeführt von den Generälen Walther von Lüttwitz und Erich Ludendorff, während Wolfgang Kapp von der “Nationalen Vereinigung” eine weniger zentrale Rolle spielte.
In einer Zusammenfassung: Über 100 Stunden lang versuchte das militärische Führungspersonal, enttäuscht vom Versailler Vertrag und den resultierenden massiven Kürzungen bei der Reichswehr und den Freikorps, die herrschende republikanische Regierung zu stürzen. Eine von Auflösung bedrohte Marinebrigade lehnte Befehle ab, hochrangige Generäle schlossen sich ihr an und zogen nach Berlin. Die Gruppe um Kapp und Ludendorff war bereit, eine neue Regierung zu installieren.
Der Putsch scheiterte letztlich an einem von den Arbeiterparteien ausgerufenen Generalstreik, an dem sich auch Beamte beteiligten, an der Gründung einer “Roten Armee” im Ruhrgebiet und der drohenden Wiederaufnahme der sozialistischen Revolution von 1919. Die Putschisten zogen vor der Gefahr eines Bürgerkriegs zurück und brachen ihren Versuch ab.
Es erscheint fast absurd, dass sowohl die rechte als auch die linke Seite militärisch durchaus schlagkräftig waren, ohne jedoch ihre Pläne über eine bloße Machtdemonstration hinaus voranzutreiben. Man könnte es als Verantwortungsbewusstsein deuten. Der berühmte Russe Lenin mit dem Decknamen hätte gespottet: “Die Bahnsteigkarten waren ausverkauft”.
104 Jahre später präsentierte die Generalbundesanwaltschaft die These, dass eine Gruppe von 27 oder 28 älteren Männern und Frauen, darunter auch eine Russin, einen Putsch geplant habe. Spöttisch wurde dies als “Rollator-Putsch” und “Graue Armee Fraktion” tituliert. Die “Verschwörer” führten keine Brigaden oder Regimenter an, was diesen Putschversuch einmalig in der Weltgeschichte machen würde, da kein aktives Militär involviert war. Ludendorff würde sich im Jenseits an den Kopf fassen, ebenso wie andere historische Militärführer angesichts dieser Situation nur staunen könnten.
Die Informationen über das mehr als zwei Jahre andauernde Ermittlungsverfahren gegen Heinrich XIII. Prinz Reuß und seine “Mitverschwörer” sind rar. Bis heute ist unklar, welche Beweise die Bundesanwaltschaft wirklich in Händen hält. Der deutsche Investigativjournalismus scheint andere Prioritäten zu haben, anstatt den Ermittlern auf die Finger zu schauen.
Die Anschuldigungen, die in einer Pressemitteilung der Behörde veröffentlicht wurden, scheinen bei genauer Betrachtung überzogen:
“Zugleich setzte die Vereinigung verstärkt auf den Aufbau bundesweiter, flächendeckend operierender bewaffneter Kräfte. (…) Während die ‘Allianz’ dann einen ersten Angriff auf die obersten staatlichen Institutionen ausführen sollte, wollte die Vereinigung anschließend in Eigeninitiative die Beseitigung der verbliebenen Institutionen und Amtsträger auf Landes-, Kreis- und kommunaler Ebene übernehmen.”
Wie sollen 27 ältere Personen ohne die Unterstützung aktiver Offiziere der Bundeswehr oder der Polizei flächendeckende Operationen durchführen? Die Vorstellung, dass bedeutende militärische Aktionen ohne tatsächliche militärische Strukturen stattfinden könnten, scheint unrealistisch.
Die angebliche “Allianz” wird als weltweiter Verschwörungsversuch dargestellt, dessen Ziel es ist, Deutschlands Souveränität wiederherzustellen. Es wurden angeblich umfangreiche Vorbereitungen für den Umsturz getroffen:
“Ab Sommer 2021 traf die Gruppierung für den Umsturz und die anschließende Absicherung der Macht zahlreiche konkrete Vorbereitungen.”
Welche Vorbereitungen genau? Wurden wirklich bundesweit signifikante Waffenlager entdeckt?
Die nachweislichen Anklagepunkte gegen die Verschwörergruppe scheinen eher einer Antiutopie á la George Orwell anzugehören als einem realen Putschversuch. Es stellt sich die Frage, ob es peinlicher wäre, wenn die “Planungen” der “Rollator-Putschisten” tatsächlich so konzipiert waren, oder ob – wie es aussieht – Gerichte mit hohem Aufwand über die Hirngespinste einer Phantasięgruppe verhandeln.
Wie auch immer man es dreht und wendet, die Vorgänge sind eine Farce. Leider ist es nicht zum Lachen, denn die Realität der Untersuchungshaft, in der 27 Menschen sitzen, ist unumstritten ernst.
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