Von Dagmar Henn
Irgendwas stimmt nicht mit der Geschichte dieses Schiffes, das vom Zoll im Hafen von Rostock festgehalten wird. Und nicht nur, weil in einer ganzen Reihe von Artikeln die “Atlantic Navigator II” (AN II), die derzeit in Rostock liegt, gleich zum “russischen Schiff” gemacht wird, nur weil sie ziemlich regelmäßig Sankt Petersburg anläuft.
Bei ausgiebigerer Suche im Netz stellt sich heraus, dass die Atlantic Navigator II Teil einer regelmäßigen Verbindung zwischen Sankt Petersburg und Houston ist, betrieben von einer kanadischen Aktiengesellschaft namens CISN. ARRC betreibt dieses Schiff seit 2015; in dieser Zeit haben sowohl die Flagge als auch die Registrierung gewechselt; 2021 fuhr es etwa noch unter maltesischer Flagge und maltesischer Registrierung, derzeit stammt die Flagge von den Marschall-Inseln, die Registrierung ist in Russland. Derartige Differenzen in den Angaben deuten üblicherweise darauf hin, dass das Schiff vor relativ kurzer Zeit den Besitzer gewechselt hat. Auf jeden Fall gab es, ehe die AN II bei CISN auftaucht, schon mehrere andere Besitzer, da das 2002 in China gebaute Schiff bereits unter drei weiteren Namen unterwegs war.
Die AN II ist ein Schiff, das sowohl Containerfracht als auch Schüttgut transportieren kann, und die Betreiberfirma CISN hebt besonders hervor, alle Lizenzen zum Transport von Gefahrgut zu besitzen. Das passt zum berichteten Transport von angereichertem Uran.
Nachdem die ersten Berichte angedeutet hatten, dieses Uran sei der Grund, warum die AN II in Rostock festgehalten werde, gibt es mittlerweile die Erklärung, russisches Birkenholz sei der Auslöser. Der Spiegel kapriziert sich in einem aktuellen Artikel sogar darauf, bei den 251 Containern mit Birkensperrholz handele es sich um “illegales Holz”; ungeachtet der Tatsache, dass die Frage, ob Holz legal oder illegal geschlagen wurde, eindeutig bei den russischen Behörden liegt.
Die Geschichte mit den Waren, die gegen EU-Sanktionen verstoßen, ist aber nicht wirklich glaubhaft – Rostock, so wird übereinstimmend berichtet, wurde nur angelaufen, weil ein Schiffspropeller repariert werden musste. Tatsächlich wurde Rostock nur wegen einer seepolizeilichen Weisung angefahren; das Schiff havarierte in deutschen Gewässern in der Fahrrinne, weshalb seerechtlich die deutschen Behörden die Anweisung erteilen konnten, es in den Rostocker Hafen zu schleppen und auch dort so lange zu halten, bis die Freigabe zur Weiterfahrt erteilt ist. Bei Schiffen tritt im Falle einer Havarie ein Mechanismus in Kraft, der in etwa einer TÜV-Überprüfung von Fahrzeugen vergleichbar ist.
Die übliche Route des Schiffs legt nahe, dass die Fracht, nicht nur das Uran, sondern auch das Birkenholz, letztlich für die Vereinigten Staaten bestimmt ist. Wenn aber diese Fracht gar nicht in der EU verbleibt, und der Aufenthalt in Rostock das Ergebnis einer technischen Störung ist. Dann ist der deutsche Zoll für diese Fracht schlicht nicht zuständig, selbst wenn es sich dabei um in der EU sanktioniertes russisches Birkenholz handelt. Vom Uran ganz zu schweigen, das in der EU nicht einmal sanktioniert ist, weil mehrere EU-Staaten dann ein größeres Problem hätten.
Selbst wenn die Fracht abgeladen worden wäre, gäbe es eine Zuständigkeit des deutschen Zolls erst in dem Moment, wenn sie den Freihafen verlässt. Das ist es, was Freihafen bedeutet: zolltechnisches Ausland. Ganz zu schweigen vom Schiff selbst, das grundsätzlich Ausland ist, außer es führe unter deutscher Flagge.
Was also ist tatsächlich der Grund, warum die AN II nach wie vor in Rostock liegt? Seit Anfang März übrigens. Stimmt die Geschichte mit dem Zoll überhaupt?
Die Aussage des Zolls soll lauten, die Ermittlungen dauerten noch an, und Details zur Ladung wurden nicht bestätigt. Was bedeutet, weder die Angabe über angereichertes Uran noch die über Birkenholz ist tatsächlich gesichert. Allerdings bleiben die Grundvoraussetzungen bezüglich der Sanktionen gleich, egal, was wirklich die Fracht dieses Schiffes ist. Sollte die AN II, wie die Vorgeschichte des Schiffs nahelegt, auf dem Weg in die USA sein und nicht beabsichtigen, Teile dieser Ladung in Antwerpen zu löschen, das auf dieser Route als möglicher Zwischenhalt auftaucht, dann geht die Fracht den deutschen Zoll schlicht gar nichts an. Außer es handelt sich um Waren, die nicht nur in der EU sanktioniert sind, sondern auch aus anderen Gründen nicht transportiert werden dürfen.
Wobei das erste Gut, das einem in diesem Zusammenhang in den Sinn kommt – illegale Waffentransporte, aus Russland in die USA –, entweder überhaupt keinen Sinn machen, oder aber irgendeine krumme Nummer der Amis wären, in die sich der deutsche Zoll sicher nicht einmischen würde. Und als Drogentransportroute wäre Sankt Petersburg-Houston sicher auch keine gute Idee. Schlicht, weil die bekanntlich gerade unglaublich entspannten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Russland das Risiko einer Entdeckung multiplizieren dürften, da man davon ausgehen kann, dass in den USA nach jeder Möglichkeit gesucht wird, um irgendeine kriminelle Absicht zu unterstellen – was es zu einer äußerst ungeeigneten Route macht, wenn man mit der transportierten Ware ein Geschäft machen will. So in etwa geht die Liste der Güter weiter, die eine Grundlage für ein legales Eingreifen des deutschen Zolls wären: illegale Tiertransporte, Organhandel … aber Birkensperrholz?
Und sonst? Was könnte es sein, das irgendwie den deutschen Zoll in Bewegung gesetzt hat? Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die AN II etwa in den Transport von Giftmüll verwickelt gewesen sein könnte oder dergleichen; im Gegenteil, im letzten Jahr transportierte sie Rotorblätter für Windturbinen aus der Türkei nach Deutschland. Vielleicht könnte man eine große Verschwörung aus der Tatsache ableiten, dass zum 17. Januar dieses Jahres explizit ein russischer Koch für dieses Schiff gesucht wurde; aber der Schiffselektriker, der zum 25.03. seine Arbeit antreten sollte, wurde ohne eine derartige Angabe gesucht. Ansonsten finden sich in der Vergangenheit ein ukrainischer zweiter Offizier, ein litauischer erster Offizier, ein ukrainischer Chefingenieur und ein rumänischer Kapitän. Wobei das Portal Balticshipping, dem man diese Details entnehmen kann, von deutschen Eignern schreibt, nämlich der NSC Holding in Hamburg. Es handelt sich, wie an der Liste der ehemaligen Schiffsnamen zu erkennen ist, um das gleiche Schiff.
Das einzige, was klar ist: Bei der Berichterstattung wird darüber geschludert, und auch das Hauptzollamt Stralsund verhält sich eigenartig, weil es tatsächlich erklärt, die Schiffsladung unterliege “wie alle in die EU verbrachten Waren der zollamtlichen Überwachung”. Übrigens, so sehr sich der Spiegel daran ergötzt, dass da womöglich Holz beschlagnahmt werden könnte, das einem bösen russischen Oligarchen gehören könnte, aller Wahrscheinlichkeit irrt er sich auch damit. Das im Fernhandel gebräuchlichste Verfahren besteht darin, dass die Waren vor der Verschiffung vom Käufer mit einem Wechsel bezahlt werden. Will heißen, rechtlich sind sie bereits in das Eigentum des amerikanischen Empfängers übergegangen, auch wenn dieser Wechsel erst nach Eintreffen der Ware gezogen wird. Das Hauptzollamt Stralsund ärgert im Moment jedenfalls vor allem US-Amerikaner.
Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Schaden an dem Schiff so schwerwiegend ist, dass es für längere Zeit ausfällt, und der Besitzer des Birkenholzes nun versucht hat, es in Europa zu verkaufen, wo es sanktioniert ist, um sein Geld schneller wieder freizubekommen … Ja, selbst dann macht die erzählte Geschichte keinen Sinn. Denn in diesem Fall hätte der Zoll es erstens gar nicht nötig, das Schiff festzuhalten, weil es ohnehin nicht fahren könnte, und zweitens könnte er ganz entspannt darauf warten, dass die Fracht abgeladen wird, ehe er das gefährliche Birkenholz beschlagnahmt.
Allerdings ist die ganze Geschichte nicht so banal oder locker, wie sie auf den ersten Blick aussieht; es könnte sich dabei eher um eine Kleinausgabe der berüchtigten EU-Pläne handeln, eingefrorene russische Vermögen zu beschlagnahmen. Denn wenn sich deutsche Behörden anmaßen, fremde Schiffe, die Deutschland nicht an-, sondern nur daran vorbeifahren, im Falle einer Havarie in einen deutschen Hafen zu zwingen, um dort dann – und das ist der entscheidende Punkt – in die Fracht einzugreifen, dann ist das im Kern ein Akt der Piraterie. So jedenfalls dürften das viele Chartergesellschaften sehen, und daraufhin nach Möglichkeit deutsche Gewässer ganz umgehen. Es ist also auch hier das Übliche: Die Gelegenheit, irgendetwas aufzublasen, wird um jeden Preis genutzt. Ungeachtet der Tatsache, dass derartige Eingriffe weit größere wirtschaftliche Schäden auslösen können, und dass internationaler Fernhandel auf der Einhaltung der Regeln beruht, die damit preisgegeben werden. Und das von einem Land, das sehr stark auf Exporte setzt …
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