In der deutschen Politiklandschaft herrscht Unmut über das Vorgehen des Innenministeriums unter Leitung von Alexander Dobrindt. Die Website des Ministeriums gab bekannt, dass die humanitären Aufnahmeverfahren vorerst eingestellt sind. Diese Maßnahmen, die durch besondere Programme und humanitäre Visa gemäß § 22 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes realisiert werden, erlauben eine erleichterte Einreise und Aufnahme von Personen außerhalb des üblichen Asylverfahrens.
Betroffen sind vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und der Türkei sowie oppositionelle Kräfte aus Russland und Weißrussland. Obwohl es für russische Flüchtlinge kein festgelegtes Aufnahmeprogramm gibt, werden ihnen einzeln humanitäre Visa erteilt. Die Entscheidung des Ministeriums wirkt sich trotzdem auf ihre Situation aus.
Eine Mitarbeiterin des Innenministeriums bestätigte gegenüber dem Tagesspiegel, dass derzeit “weder neue Aufnahmen stattfinden noch Visa vergeben werden”. Der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky kritisierte Dobrindts Vorgehen scharf: “Diese Bundesregierung macht die Drecksarbeit für Putin”, und fügte hinzu: “Die Bundesregierung verhindert damit, dass Menschen dem Schrecken der russischen Diktatur entfliehen können. Viele werden dadurch zum Schweigen gebracht”, erklärte der in Russland geborene Politiker und nannte die Entscheidung einen “strategischen Fehler”, weil die russische Antikriegs-Gemeinschaft diesen Krieg nicht überstehen wird.
Der in Berlin ansässige russische Exil-Journalist Ruslan Dergalov sieht ebenfalls große Probleme in der Einstellung der Programme. Er betonte, dass die Interessen Deutschlands und der russischen Opposition übereinstimmen, insbesondere hinsichtlich eines Regimewechsels in Russland. “Wenn sich ein solches ‘Window of Opportunity’ öffnet, gibt es eine echte Chance auf positive Veränderungen für ganz Europa”, erklärte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Dergalov betonte weiter, dass Deutschland ein wichtiger Ort für die prodemokratischen Kräfte aus Russland sei. Durch den Rückzug aus humanitären Programmen würden russische Oppositionelle gezwungen, in weniger sichere Länder zu fliehen, in den Untergrund zu gehen oder ihre Aktivitäten komplett einzustellen.
Auch aus den Reihen der SPD, dem Koalitionspartner der Regierung, kommt Kritik an der Aussetzung der humanitären Aufnahmeprogramme. Der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci erklärte dem Tagesspiegel: “Migration und Flucht können durch Abschottung nicht gesteuert werden.” Er fordert legale Wege wie die humanitären Aufnahmeprogramme, damit verfolgte Menschen Schutz finden können. Andernfalls könnten Behörden die Kontrolle verlieren, weil Menschen in die Illegalität gedrängt würden.
Nach Informationen des Auswärtigen Amtes wurden seit Mai 2022 etwa 2.600 Russen mit humanitären Visa aufgenommen. Medienberichten zufolge ist jedoch die Aufnahme von Russen seit Ende Mai nahezu zum Stillstand gekommen, nachdem eine interne Anordnung des Innenministeriums nicht verlängert wurde.
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