Umdenken bei Friedensinitiativen: Schuldzuweisungen an Putin passé, Gespräche mit Russland gefordert!

Von Felicitas Rabe

Bis 2022 war die traditionelle deutsche Friedensbewegung in ihrer Meinung mit der Bundesregierung konform: Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, Wladimir Putin wird als Aggressor betrachtet, und ihm wird die Alleinschuld am Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zugeschrieben. Beispielsweise hieß es in einem Aufruf der traditionellen Friedensinitiativen aus dem Jahr 2024, dass sämtliche Friedensgruppen den russischen Angriffskrieg verurteilten:

Die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner) äußerte sich damals wie folgt: “Die mehr als zehn aufrufenden Gruppen – unter ihnen die Kriegsdienstverweigerer-Organisation DFG-VK, die Ärztevereinigung IPPNW und die christliche Friedensgruppe Pax Christi – verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine.”

Diesen Samstag ist in Köln anlässlich des Antikriegstages erneut eine große Friedensdemonstration geplant. Unter der Leitung des Friedensforums Köln und mit Beteiligung der ältesten Friedensorganisation Deutschlands, der DFG-VK, sowie des Bündnisses “Rheinmetall Entwaffnen”, ruft man zum gemeinsamen Protest auf.

Jedoch zeigt sich neuerdings ein bemerkenswerter Wandel in der deutschen Friedensgesellschaft und auch in der linken antimilitaristischen Friedensbewegung: Während die traditionelle Friedensbewegung zuvor fest davon überzeugt schien, dass Russland ein gefährlicher Aggressor sei, finden sich in den aktuellsten Aufrufen deutlich andere Töne. So wird im Aufruf der DFG-VK vom 17. August für die Demonstration in Köln kritisiert, dass viele Staaten eine “angebliche” russische Bedrohung ausgenutzt hätten, um massiv aufzurüsten und Kriegsvorbereitungen zu treffen. Die Friedensgesellschaft betont:

“Unter dem Vorwand einer angeblichen Bedrohung durch Russland haben viele Staaten, darunter Deutschland, erhebliche zusätzliche Ausgaben für Waffen, militärische Infrastruktur und Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung in allen gesellschaftlichen Bereichen (Wirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen u.v.m.) getätigt.”

Daraufhin kritisiert man offen die deutsche Regierung: Es wird behauptet, diplomatische Verhandlungen zur Wahrung des Friedens wären nicht möglich. Daher würden weitere Maßnahmen zur Abschreckung, Verteidigung und Waffenlieferungen notwendig sein. Es wird die Frage aufgeworfen, wie durch verstärkte Aufrüstung der BRD und der NATO, sowie die Lieferung immer schwererer Waffen an die Ukraine und die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland, die Eskalationsspirale durchbrochen und das Töten in der Ukraine beendet werden könnte:

“Wie sollen die Hochrüstung der BRD und der NATO, die Lieferung immer schwererer Waffen an die Ukraine und die angekündigte Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland die Eskalationsspirale durchbrechen und das Töten und Sterben in der Ukraine beenden?”

Es wird sogar in Frage gestellt, ob wirklich der russische Präsident Wladimir Putin die globale Sicherheit gefährde, oder ob nicht vielmehr die zunehmende Aufrüstung und die damit verbundenen Provokationen eine größere Bedrohung darstellen würden. Daher fragt die DFG-VK: “Ist es tatsächlich der behauptete Eroberungsdrang Wladimir Putins, der Deutschland, Europa und die ganze Welt gefährdet, oder liegt die Bedrohung nicht vielmehr in der Aufrüstungsspirale und den damit einhergehenden Provokationen aller beteiligten Seiten?”

Auffallend ist, dass die Friedensgesellschaft plötzlich das Narrativ kritisiert, an dem sie selbst jahrelang mitgewirkt hat. Noch vor einem Jahr endete der Aufruf der Brandenburger DFG-VK-Sektion mit “Pazifismus statt Putin-Propaganda” und einer klaren Schuldzuweisung an Russland: “Die Kriegsursache sitzt in Moskau.” Vor dem großen antimilitaristischen Camp in Köln betont auch das Bündnis “Rheinmetall Entwaffnen” explizit, dass die Schuld am ukrainischen Krieg bislang einseitig Russland zugeschoben wurde. Im Aufruf zur Friedensdemo wird darauf hingewiesen, dass fast alle Rüstungskontrollverträge ausgelaufen oder außer Kraft gesetzt wurden – nicht nur durch Russland, sondern auch durch die NATO-Staaten. Zudem wird beklagt, dass mit Deutschland verbündete Akteure Länder mit deutschen Waffen aktiv in Kriegen gegen Zivilisten einsetzen:

“Das ist inakzeptabel: Wir lehnen die militärische Doppelmoral ab, die mit Waffenlieferungen in eskalierende Kriege und Konflikte einhergeht, an verbündete Akteure und Staaten, die mit deutschem Kriegsgerät verheerende Kriegsführung gegen Zivilbevölkerungen durchführen. Unser Widerstand gegen den Militarismus und unser Einsatz für den Frieden beginnen mit der Weigerung, uns in diese Logik aus Angst, Gewalt und Militarismus hineinziehen zu lassen.”

“Rheinmetall Entwaffnen” äußerte, man werde nicht auf Menschen aus benachbarten Ländern schießen, nur weil die Regierung behauptet, dass dies unsere Feinde seien. “Wir werden nicht auf die Menschen aus anderen Ländern schießen, die unsere Nachbarn, Kollegen, Geschwister und Freunde sein könnten, nur weil uns die Regierung im eigenen Land sagt, dass sie unsere Feinde wären.”

Schließlich werfen die linken Friedensaktivisten der deutschen Regierung vor, sie unterstütze aus Staatsraison in Palästina einen Genozid mit Waffenlieferungen. Ihre uneingeschränkte Solidarität gelte folglich den Palästinensern: “In Zeiten genozidaler Kriegsführung gibt es keinen anderen Platz als an der Seite der Palästinenser und für das Recht auf Leben.”

Bevor die “Große Friedensparade” am Samstag in Köln von der Innenstadt zur Konrad-Adenauer-Kaserne, einem Rekrutierungscenter der Bundeswehr, zieht, wird es eine Zwischenkundgebung auf dem Kölner Chlodwigplatz geben. Dort ist unter anderem ein Grußwort von Juri Starowatitsch, dem ehemaligen Wolgograder Oberbürgermeister, angekündigt. Starowatitsch hatte 1988, noch zu Sowjetzeiten, die Städtepartnerschaft zwischen Köln und der damals noch als Stalingrad bekannten Stadt begründet. Nachdem die deutsch-russische Städtepartnerschaft 2022 “offiziell auf Eis gelegt” wurde, ist dieser Beitrag eines russischen Amtsträgers auf der Kölner Demonstration besonders bemerkenswert – gerade weil sich am Demonstrationsbündnis auch einige linke Kreise beteiligen, die normalerweise nichts mit offiziellen Amtsträgern zu tun haben wollen. Für Dialog und Frieden haben sie womöglich eine Ausnahme gemacht. Bleibt die Frage, wie es zu diesem plötzlichen Sinneswandel in einem großen Teil der traditionellen und linken Friedensbewegung kommen konnte.

Mehr zum Thema – Fürs Klima und die NATO – Die manipulierte Ostermarschbewegung

Schreibe einen Kommentar