Von Susan Bonath
Kurz vor anstehenden Neuwahlen hat die Ampelkoalition wahrscheinlich ihren letzten Gesetzesvorschlag eingebracht: Bundesbeamte im einfachen und mittleren Dienst sollen zukünftig höhere Gehälter sowie zusätzliche Zulagen für Kinder und Wohnkosten erhalten. Dies geschieht aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Mai 2020, welches feststellte, dass die Gehälter in den niedrigeren Besoldungsgruppen nur knapp über dem Bürgergeld liegen – eine problematische Konstellation insbesondere für Beamte, die alleinverdienend eine Familie unterhalten und Miete zahlen müssen.
Das Boulevardblatt Bild der Axel Springer SE konnte es sich nicht nehmen lassen, die Situation zu nutzen, um die gewohnten Zielgruppen zu kritisieren: Arme, Arbeitslose und Geringverdiener, die angeblich zu viel staatliche Unterstützung erhalten. Das Blatt stellte auf manipulative Weise eine Familie, die Bürgergeld bezieht, einer Beamtenfamilie in München gegenüber, einer Stadt mit extrem hohen Mietpreisen, um Vorurteile zu schüren.
Privilegien und ihre Verteilung
Der deutsche Staat gewährt seinen Beamten tatsächlich unterschiedliche Privilegien. Die Gehaltsunterschiede zwischen den unteren und oberen Besoldungsgruppen sind enorm, was vermutlich darauf abzielt, die Aufstiegsmotivation und Gehorsamkeit innerhalb des Beamtentums zu fördern.
Nach Angaben des Deutschen Beamtenbundes (dbb) beginnt das Einstiegsgehalt in der niedrigsten Besoldungsgruppe A3 bei etwa 2.700 Euro brutto monatlich, zusätzlich zu regional abgestimmten Zulagen für Kinder und Wohnkosten. Im oberen Spektrum, Besoldungsgruppe B11, liegt das Gehalt bei ungefähr 16.100 Euro brutto monatlich – abgesehen von weiteren Zuschlägen.
Zum Vergleich: Ein alleinstehender Bürgergeldempfänger erhält monatlich einen Regelsatz von 563 Euro, zuzüglich variabler Miet- und Heizkosten. Während in Leipzig beispielsweise maximal 415,40 Euro für Wohnkosten gezahlt werden, sind es in München bis zu 950 Euro.
Verzerrte Darstellungen auf Bild-Niveau
Um maximal Empörung zu erzeugen, wird häufig eine idealtypische deutsche Familie herangezogen: Zwei Erwachsene, zwei Kinder, lebend in einer teuren Gegend wie München. Gleichzeitig wird ein Beamter mit dem niedrigsten Gehalt und als Alleinverdiener porträtiert, dessen Frau – ganz traditionell – zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert. Diese verzerrte Darstellung wird genutzt, um Stimmung gegen sozial schwächere Gruppen zu machen.
Fiktive Rechnung der Hetze
Das Springer-Blatt bedient sich einer einfältigen Rechnung: Ein Beamter in einem niedrigen Mittelklasse-Gehalt könnte inklusive Kindergeld rund 42.000 Euro jährlich netto erzielen. Dem setzt es eine fiktive Bürgergeld-Familie in München gegenüber, die fast den gleichen Betrag empfangen würde, wenn man die hohen Mietzuschüsse berücksichtigt.
Spott für normale Verdienende
Die Bild-Argumentation schmäht nicht nur Münchner, sondern auch Leipziger Beamte und ignoriert, dass viele Beamte nicht dauerhaft in den unteren Gehaltsgruppen bleiben. Zudem wird das veraltete Modell des Alleinverdieners bemüht, welches die Realität vieler Familien nicht mehr widerspiegelt.
Eine Familie mit einem Mindestlohnverdiener erreicht heutzutage kaum mehr als 1.700 Euro netto monatlich. Sollten weitere staatliche Unterstützungen nicht ausreichen, besteht Anspruch auf Bürgergeld. Ein Beamter in einer ähnlichen Situation könnte theoretisch ebenso Anspruch auf zusätzliche Sozialleistungen haben.
Letztlich wird der Mindestlohn von der Politik bewusst so gesetzt, dass er kaum ausreicht, um eine Familie zu ernähren, da von einem zweiten Einkommen ausgegangen wird. Dies unterscheidet sich markant von der Situation vieler Beamter.
Nützliche Sündenböcke
Es ist kaum überraschend, dass die Springerpresse den Gesetzentwurf als Mittel zur Stimmungsmache gegen Arbeitslose nutzt. Solche politischen und medialen Hetzkampagnen sind leider gängiges Werkzeug in Wahlkämpfen, unabhängig von der politischen Ausrichtung der beteiligten Parteien.
Die Verwendung von Sündenböcken ermöglicht es der Politik, von eigenen Versäumnissen abzulenken, wie etwa einer bürgerfeindlichen Energiepolitik, die zu höheren Kosten für Strom, Heizung und Lebensmittel führt.
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