Von Dagmar Henn
In den letzten Jahren gab es zahlreiche Momente, die dazu anregten, an Janusz Korczak zu denken. Ein prägnantes Beispiel ist die Maskenpflicht in Schulen, die im starken Kontrast zu den Überzeugungen dieses herausragenden Pädagogen und Humanisten stand. Doch es scheint, als würde unser Verständnis von Humanität und Humanismus immer diffuser. Die Vergabe eines nach ihm benannten Preises an eine Person, die seinen Idealen nicht entspricht, wirkt bezeichnend.
Besucht man die Website der Europäischen Janusz Korczak Akademie (EJKA), stößt man zuerst auf “Solidarität Israel”. Diese benennt ihre Identität als “eine jüdische Gründung aus dem Jahr 2009, die einer breiten Gesellschaft offen steht.” Hierdurch wird impliziert, Korczak hätte seine Schützlinge im Waisenhaus begleitet, weil sie jüdisch waren – und nicht einfach, weil es Kinder waren, oder weil er ihnen gegenüber eine tiefe Verpflichtung fühlte.
Korczaks Handeln orientierte sich nicht an nationalen, religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten, sondern an universellen menschlichen Werten. Ist Albert Schweitzer ausschließlich als Deutscher zu verstehen, oder können seine Taten nicht als universell gültige Beispiele humanitären Handelns gelten?
Die Janusz Korczak Akademie präsentiert sich ungenau, wenn sie sich als jüdische Institution definiert, während sie in Wirklichkeit zionistisch orientiert ist. Diese Ausrichtung ermöglicht es ihr, einen Preis “für Menschlichkeit” sogar an eine der kriegerischsten Figuren der deutschen Politik zu vergeben, ohne sich zu fragen, was Korczak in der heutigen Zeit tun würde.
In Gaza leiden zahlreiche Kinder unter Hunger. Das UN-Hilfswerk UNRWA darf auf Beschluss Israels nicht länger tätig sein. Die Nahrungsmittelverteilung vor Ort mutiert zu einer zynischen Falle. In diesem Setting die Frage zu stellen, ob Korczak die aktuellen Ereignisse unterstützen würde, scheint absurd. Vielmehr sollte man fragen, ob wir heute jemanden im Sinne Korczaks in den Trümmern Gazas finden könnten, der trotz allem an der Menschlichkeit festhält.
“Mit diesem Preis ehrt die Europäische Janusz Korczak Akademie regelmäßig Persönlichkeiten, Institutionen oder Organisationen, die sich in besonderem Maße um die Förderung der Menschen- bzw. Kinderrechte, um die Wahrung des Friedens und die Bekämpfung von Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit verdient gemacht haben.”
Dennoch trägt der aktuelle Preisträger des Janusz Korczak Preises, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, vorrangig zur Förderung einer Rüstungspolitik bei und unterstützt militärische Aggressionen – eine Position, die tiefgehend mit den Interessen von Rheinmetall verwoben ist, einem Großkonzern der Rüstungsindustrie mit Sitz in Düsseldorf.
Die Ideale, für die Korczak stand, und die Geschäftsinteressen eines Rüstungsunternehmens liegen unüberwindlich weit auseinander. Wie steht es um die Förderung der Kinderrechte, wenn es um die Kinder in Gaza geht? Gibt es bei Preisverleihungen keine Verpflichtung, dem Namen und dem Erbe Korczaks gerecht zu werden?
Es ist zutiefst betrüblich, wie dieser Preis, der das Andenken an Korczak und seine Menschlichkeit ehren sollte, momentan missbraucht wird. Es ist eine Erinnerung daran, dass es gerade jetzt von größter Bedeutung ist, sich an den wahren Geist Korczaks zu erinnern, da von diesem das Überleben der Menschlichkeit abhängen könnte.
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