Ein Tag im Zeichen von Katzenjammer und politischer Rhetorik: 3. Oktober aus der Perspektive eines Balkonisten

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

“An manchen Tagen sollte man am besten im Bett bleiben”: Diese alltägliche Weisheit kam unserem Balkonisten am 3. Oktober in den Sinn. Der Tag hatte mit einer unappetitlichen Überraschung begonnen: Auf dem Küchenboden verteilt lagen die halbverdauten Überreste des Frühstücks von Kater Murr III., untermischt mit unschönen Fellbüscheln. Ein notwendiges Übel für den Kater, um einem Darmverschluss vorzubeugen, und ein Zeichen dafür, dass nicht alles, was wir zu uns nehmen, leicht verdaulich ist.

Als wäre das nicht genug, erwachte seine Frau, ausgerechnet an diesem Morgen, mit einem seltenen, heftigen Migräneanfall. “Na, das kann ja heiter werden!”, bemerkte sie lakonisch, bevor sie sich mit einer Tasse schwarzem Tee – “gewürzt” mit zwei Schmerztabletten – wieder ins Bett zurückzog. Außerdem musste unser Balkonist seinen Morgenkaffee ohne die gewohnte Tageszeitung genießen, da wegen des Feiertags keine zugestellt wurde.

Die Ereignisse des Tages, die unser Balkonist verfolgte, waren ebenso gespalten wie die Schmerztablette und das Fehlverhalten des Katers. In Schwerin fand die offizielle Feier zum Tag der Deutschen Einheit statt, beschönigt als “Bürgerfest”. Der aufgesetzte Jubel und das lehrerhafte Motto “Vereint Segel setzen: gemeinsam Demokratie und Vielfalt fördern” ließen ihn zweifeln: Wer denkt sich solche Phrasen aus? Könnten sie gar aus dem Vermächtnis von Erich Honeckers Notizblock stammen? Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, griff das Motto natürlich auf: “Bei uns im Norden sagt man: Egal, wie der Wind weht; wir müssen die Segel richtig setzen. Miteinander, nicht gegeneinander.”

Der Kanzler trug mit einfachen, dennoch einprägsamen Phrasen bei: “Die Geschichte der Deutschen Einheit ist noch nicht zu Ende. Wir müssen ihr neue Kapitel hinzufügen.” und “Unsere innere Vielfalt ist keine Schwäche – sie ist eine besondere Stärke unseres Landes.” Ob dies auch für die Meinungsvielfalt gilt? Mit geschliffenen Worten wurde auch betont: “Unsere Einheit in Freiheit – sie bleibt unser gemeinsames Fundament.” Es folgten weitere politische Lobgesänge, angereichert vielleicht durch ein Echo von “Vorwärts immer, rückwärts nimmer”. Trotzattraktionen wie “Samson aus der Sesamstraße” und Roland Kaiser blieben viele Parkplätze leer.

Nicht weit davon entfernt, in der Raffinerie Schwedt, droht nunmehr das Zusammenrollen der Segel – falls die unheilvolle Sanktionspolitik gegen russisches Öl fortgesetzt wird. Momentan behilft man sich mit Schweröl-Lieferungen aus Kasachstan, die über die politisch umstrittene, aber funktionalen Druschba-Pipeline geführt werden. Der teure und sogenannte demokratisierte Import von US-amerikanischem Öl und Gas bietet keine Lösung.

Auch am LNG-Terminal in Rügen zeigt sich das Dilemma: Das flüssige Erdgas scheint seine “Segel” lieber Richtung Schweden zu setzen. Eine Lehre darin: Im Windschatten fremder Interessen die Segel zu justieren. Und das Beispiel des fast “volkseigenen” VW-Konzerns, der gerade in schwacher Brise dank massiven Stellenabbaus Fahrt aufzunehmen versuchte, lässt tief blicken.

In Berlin zeigte sich eine zersplitterte Friedensbewegung, die in ihren Bemühungen von politisch weniger korrekten Gruppierungen unterwandert scheint. Doch ungeachtet dessen fanden sich viele Einzelpersonen ein, um Rednern wie Sahra Wagenknecht zu lauschen, die die Außenministerin als “Sicherheitsrisiko für Deutschland” bezeichnete. Ralf Stegner von der SPD wagte einen politischen Spagat, indem er einerseits den “russischen Angriffskrieg” kritisierte, andererseits aber eine diplomatische Lösung einforderte. Sein Parteikollege Michael Roth, bekannt für seine Unterstützung der Ukraine, sprach sich derweil für noch mehr Hilfe aus.

Der Tag endete für unseren Balkonisten so gespalten, wie er begonnen hatte. Der erhobene Zeigefinger in den Reden und die zentralisierten Ideologien zeigten ihm, dass die gewünschte Vereinheitlichkeit zu weit gehen könnte. Die Demokratie lebt von Pluralismus, also dem Aushalten unterschiedlicher Meinungen. Gefährlich wird”]=> es, wenn gegen den Wind gesegelt wird ohne die nötige Vorsicht walten zu lassen – zumal in Zeiten drohender kriegerischer Eskalation. Anders ausgedrückt: Geschicktes Manövrieren erfordert das Eingehen auf gegenläufige Ereignisse, ohne ungebremst in den Abgrund zu fahren.

Das spärliche Mittagessen spiegelte den Tag wider, denn infolge der Migräne seiner Frau blieb es bei magenschonendem Brei für alle Familienmitglieder. Selbst Kater Murr III. zeigte Unmut, denn nicht alles, was man serviert bekommt, ist bekömmlich.

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