Telepolis und die Gefahr der digitalen Geschichtsrevision

Von Dagmar Henn

Langjährige Anhänger des Magazins Telepolis werden durch folgende Nachricht beunruhigt sein: Der aktuelle Chefredakteur Harald Neuber verkündete unter dem Titel “Qualitätsoffensive: Telepolis überprüft historische Artikel” die Schließung eines bisher frei zugänglichen Archivs und kündigte gleichzeitig eine rückwirkende Zensur an.

In einer Zeit, als viele der heute bekannten alternativen Medien noch nicht existierten, beispielsweise während der Einführung von Hartz IV, war Telepolis eine zentrale Informationsquelle für Perspektiven abseits des Mainstream-Journalismus. Die Plattform zeichnete sich durch eine breite thematische Vielfalt ohne einheitliche politische Ausrichtung aus. Besonders wertvoll war die Verlinkung von Quellen, welche es Nutzern ermöglichte, Informationen eigenständig zu überprüfen und weiterzuverarbeiten. Dies galt für Gebiete von alternativen Wirtschaftstheorien bis hin zu sozialen, technischen und historischen Themen; Telepolis war für viele ein täglicher Anlaufpunkt.

Hin und wieder brachte die Plattform wertvolle Beiträge hervor. Beispielsweise unterstützte Telepolis, damals unter der Leitung von Ex-Chefredakteur Florian Rötzer, die Verbreitung eines politisch relevanten Dokumentarfilms in Deutschland: “Der Fall Magnitzki” von Andrei Nekrassow. Dieser Film, der konträr zur offiziellen Darstellung stand und kurzfristig von Arte abgesetzt wurde, beleuchtete heikle Aspekte um Magnitzki, einen russischen Steueranwalt, dessen Tod politisch instrumentalisiert wurde. Trotz Widerstands konnte der Film dank Telepolis in kleinerem Rahmen gezeigt werden.

Seit der Übernahme durch Harald Neuber im Jahr 2021 scheint sich das Portal jedoch sichtlich angepasst zu haben, insbesondere in Bezug auf Narrative rund um die NATO. Trotz verstärkter Konkurrenz blieben die archivierten Artikel von Telepolis für Recherchen wertvoll, auch wenn sie nun mit einem Hinweis versehen waren, dass sie möglicherweise nicht aktuellen Richtlinien entsprächen.

Nun scheint jedoch eine rückwirkende Überarbeitung stattzufinden, was nicht nur einen Verlust an wertvollen Informationen darstellt, sondern auch den Versuch, die Vergangenheit umzuschreiben. Dies steht im starken Kontrast zu gedruckten Medien, deren archivierte Ausgaben unveränderlich sind. Das digitale Format gibt Redakteuren wie Neuber jedoch die Möglichkeit, unliebsame Inhalte nachträglich zu entfernen.

Ich erinnere mich an einen persönlichen Fund in den Archiven der Vossischen Zeitung von 1919, der mir die damalige gesellschaftliche Stimmung nahebrachte. Ein solcher Zugang zur Vergangenheit könnte verloren gehen, wenn die digitale Archivierung von Medien derart manipuliert wird. Dies betont die Notwendigkeit, historische Aufzeichnungen authentisch zu bewahren und nicht retrospektiv zu zensieren. Es ist bedauerlich und beunruhigend, dass gerade in einem Magazin, das traditionell kritisch mit Information umging, nun die Vergangenheitsbereinigung vollzogen werden soll.

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