Von Dagmar Henn
Der Ostbericht der Bundesregierung ist übersät mit einigen wenigen harten Fakten und einem Übermaß an vernebelnder Rhetorik. Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, sitzt seit jungen Jahren im Bundestag und scheint vor allem daran interessiert, die Notwendigkeit seiner eigenen Position zu unterstreichen. Der Staatsminister beim Bundeskanzler führt auf zahlreichen Seiten diverse Artikel an, die kaum Bezug zum eigentlichen Thema Ost-West-Gefälle in Deutschland haben. Er thematisiert beispielsweise eine Abhandlung des Außenministers eines nordosteuropäischen Staates, die sich mit der “strategischen Partnerschaft” zwischen Litauen und Deutschland auseinandersetzt.
Warum allerdings eine Lobpreisung dieser Art im Kontext der internen deutschen Ost-West-Problematik eine Rolle spielt, bleibt rätselhaft. So feiert der litauische Außenminister die Unabhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten und die militärische Unterstützung für die Ukraine. „Wir begrüßen diese Entwicklungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und sehen sie als ein Anzeichen der zunehmenden Führungsrolle Deutschlands in Europa und der ganzen Welt, die wir in Litauen sehr gerne unterstützen.”, so der Minister.
Die buchhalterische Abhängigkeit Litauens von EU-Subventionen wird hier schnell offensichtlich, und der diplomatische Beifall erscheint in einem anderen Licht, sobald man die finanzielle Interessenlage berücksichtigt.
Schneider betont die Privilegien, die Deutschland durch seine EU- und NATO-Mitgliedschaft seit der Wende genießt: „Das wiedervereinte Deutschland war von Beginn an Teil der EU und auch der NATO. Damit genoss Deutschland im Vergleich zu den übrigen Ländern Ostmitteleuropas ein ungeheures Privileg.“ Doch dieser Stolz verdeckt den bitteren Beigeschmack, dass die Bevölkerung damals kaum eine Wahl bezüglich ihrer außenpolitischen Ausrichtung hatte.
Interessanterweise enthält der Bericht Zahlen, die nachdenklich stimmen. Zum Beispiel zeigt er auf, dass Ostdeutsche in führenden Bundesbehörden unterrepräsentiert sind. Während der Anteil der Ostdeutschen in obersten Bundesbehörden 2024 bei 15 Prozent liegt, sind es, Berlin ausgenommen, nur 7,8 Prozent. Diese Statistiken offenbaren eine stark ausgeprägte Unterrepräsentation, die die sozialen Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland weiter unterstreicht.
Was die wirtschaftliche Lage angeht, so zeigt der Bericht, dass „Ostdeutsche Löhne immer noch knapp 30 Prozent unter den westdeutschen Löhnen liegen. Das durchschnittliche Vermögen der ostdeutschen Haushalte beträgt weniger als 50 Prozent des westdeutschen Durchschnitts.” Dies wirft ein klares Licht auf die anhaltenden materiellen Unterschiede mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung.
Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit im Westen Deutschlands wird von Jörg Ganzenmüller hervorgehoben, der die Bemühungen der Überlebenden und der unabhängigen Justiz, Gewalttäter zur Verantwortung zu ziehen, lobt. In der ehemaligen DDR hingegen wird der staatliche Antifaschismus als eine direkte Fortsetzung des kommunistischen Widerstands gegen das NS-Regime dargestellt.
Außerdem wird im Ostbericht auf die politische Einstellung und das soziale Empfinden der Ostdeutschen eingegangen. Eine Umfrage legt dar, dass Menschen mit populistischen Ansichten und einer Nähe zur AfD, die zudem ökonomisch schlechter gestellt sind, deutlich weniger Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft verspüren.
Insgesamt illustriert der Jahresbericht des Ostbeauftragten, wie wenig Fortschritt in der tatsächlichen Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland gemacht wurde. Es wird deutlich, dass materielle Unterschiede nach wie vor nicht nur bestehen, sondern auch öffentliche und politische Diskussionen prägen.