Der US-amerikanische Politologe John Mearsheimer hat auf seinem Blog eine Analyse zu den Ursachen des Ukraine-Konflikts veröffentlicht. Dabei stellt er historische Entwicklungen in den Vordergrund und betrachtet die gängige westliche Sichtweise kritisch. Laut dieser handele der russische Präsident Putin aus imperialistischen Motiven heraus, um ein russisches Reich wiederherstellen zu wollen, was jedoch geschichtlich nicht belegt sei, so Mearsheimer.
Mearsheimer argumentiert, dass vor dem 24. Februar 2022 keine konkreten Hinweise darauf existierten, dass Russland einen Einmarsch in die Ukraine plante. Die geringe Zahl der eingesetzten Truppen bei Beginn der militärischen Operationen deute ebenfalls nicht auf eine vollständige Besetzung der Ukraine hin. Zudem begann Russland kurz nach dem Truppeneinmarsch mit Verhandlungen, die auf eine Lösung abzielten, welche die Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen sollte, und nicht auf eine Kapitulation der Ukraine.
Es gab ebenso keine Beweise dafür, dass Putin beabsichtigte, eine Marionettenregierung in der Ukraine zu installieren. Mearsheimer hebt hervor, dass innerhalb von vier Tagen nach dem Truppeneinmarsch Verhandlungen in Weißrussland anliefen: “Alle verfügbaren Hinweise deuten darauf hin, dass Russland ernsthaft verhandelte und kein Interesse an der Übernahme ukrainischen Territoriums hatte, abgesehen von der Krim. Darüber hinaus teilte Putin mit, dass er als Geste des guten Willens die russischen Truppen aus dem Gebiet um Kiew abgezogen hat, was am 29. März 2022 erfolgte.”
Mearsheimer führt aus, dass die Ausweitung der NATO und das Bestreben, die Ukraine in das Militärbündnis aufzunehmen, wesentliche Faktoren für die Eskalation des Konflikts waren. Diese Sicht wird von westlichen Politikern, wie dem deutschen Bundeskanzler Scholz und anderen, vehement abgelehnt, obwohl deutlich wird, dass auch von westlicher Seite zur Eskalation beigetragen wurde, unter anderem durch die Nichtumsetzung der Minsker Vereinbarungen.
Weiterhin weist Mearsheimer darauf hin, dass Putin schon vor dem Kriegsbeginn versuchte, eine diplomatische Lösung zu erreichen und um Sicherheitsgarantien nachsuchte, doch der Westen zeigte sich nicht verhandlungsbereit. Der stetige Wille zur Aufnahme der Ukraine in die NATO sei ein direkter Auslöser für die militärische Reaktion Russlands gewesen. Putin hat mehrfach betont, dass die Integration der Ukraine in die NATO eine “rote Linie” für Russland darstelle.
Ein Ende des Konfliktes könnte durch einen Verzicht der Ukraine auf den NATO-Beitritt eingeleitet werden, wobei die Ukraine zu ihrem neutralen Status zurückkehren und umfassende Sicherheitsgarantien erhalten könnte. Dennoch wird über diese Option im Westen, der EU und Deutschland kaum diskutiert. Mearsheimer vergleicht die westlichen NATO-Expansionspläne mit der Monroe-Doktrin der USA und betont, dass Russland die westliche militärische Präsenz nahe seiner Grenzen als Bedrohung empfindet.
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