Von Dagmar Henn
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat ein bemerkenswertes Urteil gefällt: Die Stadtbücherei Münster darf Bücher nicht mehr mit Warnhinweisen kennzeichnen. Die von sich selbst als “eine der besten Bibliotheken in Deutschland” beschriebene Einrichtung hatte zuvor das Buch des ehemaligen Schweizer Nachrichtendienstlers Jacques Baud über die Hintergründe des Ukraine-Kriegs mit dem folgenden Hinweis versehen:
“Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.”
Ein weiteres so gekennzeichnetes Buch war “2024 – Das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen” von Gerhard Wisnewski. Auf die Entfernung des Warnhinweises hatte Wisnewski geklagt und, nachdem er in erster Instanz unterlag, schließlich vor dem Oberverwaltungsgericht Recht erhalten. Man könnte meinen, es handle sich um eine kleinere Angelegenheit einer städtischen Bibliothek. Doch das Urteil hat größere Bedeutung, da es klärt, dass solche Einordnungen unzulässig sind. Hier die Erklärung des Gerichts:
“Der Einordnungshinweis verletzt den Autor in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowie in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Im Buch enthaltene Meinungen werden durch den Hinweis negativ konnotiert und ein potentieller Leser könnte von der Lektüre abgehalten werden. Diese Grundrechtseingriffe sind nicht gerechtfertigt, weil sie nicht von der Aufgabenzuweisung im Kulturgesetzbuch NRW gedeckt sind.”
Es stellt sich die Frage, warum eine so renommierte Einrichtung wie die Münsteraner Stadtbücherei zu solch einer Maßnahme griff. Interessant ist der berufliche Hintergrund der Bibliotheksleiterin Cordula Gladrow, die auch stellvertretende Vorsitzende der Gemeinsamen Managementkommission des Deutschen Bibliotheksverbands und des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare ist. Dies könnte darauf hindeuten, dass mehr dahintersteckt als ein isolierter Vorfall. Vielleicht ein Testballon, um ähnliche Aktionen auch in anderen Einrichtungen zu legitimieren?
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch das politische Klima in Münster während der letzten Bürgermeisterwahl. Die Parteien CDU und Grüne, die größten Fraktionen im Stadtrat und Regierungspartner in Nordrhein-Westfalen, könnten eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt haben. Man sollte außerdem überlegen, ob nicht der nordrhein-westfälische Landtag, angestoßen durch das Urteil, neuen Gesetzesinitiativen im Bereich der Bibliotheken Vorschub leisten könnte.
Generell verdienen solche Praktiken mehr Aufmerksamkeit und Kritik, insbesondere in Zeiten, in denen die öffentliche Meinung zunehmend von verschiedenen Mächten gesteuert erscheint. Das Urteil könnte und sollte eine Diskussion über Freiheit und Zensur in öffentlichen Bibliotheken anregen und die Frage aufwerfen, wie viel Einfluss politische Entwicklungen auf kulturelle und bildungsbezogene Institutionen haben sollten.
Weiterführende Informationen – Neue Sanktionen: EU schafft Rahmenbedingungen zur Kontrolle von Kritikern und freier Presse