Von Igor Malzew
Es wäre bis zur Lächerlichkeit naiv, vom kollektiven Europa aufrichtige Beileidsbekundungen für russische Opfer zu erwarten. Selbst unaufrichtige, formale Worte sind selten. Lassen Sie uns daher am Beispiel Deutschlands einfach die Abgründe nachzeichnen, die dort in den Medien und Foren bei Diskussionen über die Tragödie der “Crocus City Hall” vorherrschen.
In Berlin gibt es spätestens seit den Terroranschlägen 2015/2016 in Frankreich die Tradition, mit einer Farbshow auf derartige Ereignisse zu reagieren, die mit dem Tod von Menschen in verschiedenen Ländern verbunden sind. So war es bei den Terroranschlägen auf das Pariser “Bataclan”, bei Terror in Istanbul, Oslo, Israel.
Manche Menschen in Russland fragen sich heute, warum das Brandenburger Tor, das die Rote Armee freundlicherweise stehen ließ, nach dem Anschlag auf die Moskauer “Crocus City Hall” nicht in den Farben Russlands angestrahlt wurde. Die erwartbare Antwort: “Weil Russland der Aggressor ist und bla-bla-bla”, erklärt das nicht wirklich.
Im Jahr 2017, als alles noch anders war, gab es einen Terroranschlag auf die Metro in Sankt Petersburg – und auch da blieb das Brandenburger Tor dunkel. Einige der Einheimischen waren damals empört: warum eine solche Ignoranz? Heuchlerische Kreaturen aus dem Berliner Senat fingen an, sich darüber lustig zu machen und uns zu erzählen, dass sie diese Tradition erst gestern aufgegeben hätten, reiner Zufall. Bei dem darauffolgenden Anschlag auf ein anderes Land war sie allerdings plötzlich wieder lebendig.
Aber jetzt sehen wir, dass jede Erwähnung Russlands, jede Andeutung von Menschlichkeit gegenüber Russland, für deutsche Politiker wie ein Knochen im Hals ist. Sie können eine Beileidsbekundung nicht einmal quieken. Das ist es, was zu beweisen war.
Was zur gleichen Zeit in den “angesehenen” Medien vor sich geht, ist eine Geschichte für sich. Ausgerechnet die Medien, die immer noch nicht herausfinden können, wer Nord Stream gesprengt hat, oder zumindest ihrer Regierung eine direkte Frage dazu stellen, wussten noch am Abend des Anschlags Antworten auf alle Fragen.
Nach dem Moskauer Terroranschlag berichteten sie mit voller Inbrunst der Überzeugung, dass der Islamische Staat* der Täter sei, und das schon eine Stunde nach der Tragödie. Die Konzerthalle brannte noch, die Täter steckten noch im Stau auf der Moskauer Ringautobahn, da hatten deutsche Journalisten bereits alles aufgeklärt. Das heißt, die Ermittler hatten noch nicht einmal irgendwelche Daten oder Porträts veröffentlicht, aber die deutschen Journalisten wollten bereits alles recherchiert und alles verstanden haben und gingen sofort eifrig dazu über, ihre besonders wichtige Meinung an die Leser weiterzugeben.
Die Szenerie ist weitgehend vertraut, man muss sich nicht einmal die Mühe machen, die Texte zu übersetzen. Dasselbe Pflichtprogramm verbreiteten synchron die Kanäle ehemaliger russischer Journalisten, die im Februar 2022 nach Europa und Israel geflohen waren. Es ist, als ob sie alle ein und denselben Leitfaden anwenden würden.
Wie immer: “Alles wurde von Putin erfunden, um einen Grund zu finden, die Ukraine zu beschuldigen” (endlich wurde der einzige Grund gefunden, ja); “alles ist eine Inszenierung des FSB” (das Thema der 1999 in Moskau gesprengten Häuser wird gepusht – ein Buch von Litwinenko dient als Vorlage); “Rache des IS* für Syrien”.
Es gibt noch mehr verworrene Verschwörungstheorien, die sie als Realität ausgeben. Sie erzählen, wie Putin Europa und Deutschland mit Migranten aus Syrien “überschwemmt” hat. Obwohl anderthalb Millionen angebliche Flüchtlinge viel früher in Europa als die Russen in Syrien ankamen.
Die einzige Zeitung, die die vorherrschende amerikanische Version in irgendeiner Weise mit Vorbehalten, Tamburinen und Tänzen infrage stellte, war die Berliner Zeitung, die den Text “Weder IS*-Fahnen noch Allahu akbar: Wer steckt wirklich hinter dem Terroranschlag in Moskau?” veröffentlichte:
“Dieser Terroranschlag unterscheidet sich deutlich von früheren Aktionen des ‘IS-Khorosan’. […] Eine der ersten Versionen war eine ‘islamische Spur’, insbesondere nachdem IS-Khorasan, der afghanische Zweig des Islamischen Staates*, die Verantwortung übernommen hatte. Seine Beauftragung wurde von US-Beamten bestätigt. Aber ist diese kleine, im Westen fast unsichtbare Gruppe wirklich in der Lage, einen so professionellen und gut organisierten Anschlag zu verüben? Und welche Maßnahmen wird Putin, der seinerseits die Ukraine als Organisator beschuldigt, ergreifen?”
Man kann nicht einmal in die Leserforen der deutschen Zeitungen blicken, ohne den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Jahrelange Gehirnwäsche durch angesehene Zeitungen und das öffentlich-rechtliche Fernsehen haben ganze Arbeit geleistet. Der Konsument der Mainstreammedien ist prinzipiell völlig empathielos gegenüber Russen. Er sorgt sich über das Klima, das Schicksal der Eisbären rührt ihn zu Tränen, aber doch nicht tote russische Kinder!
Und selbst wenn die Welt sich dazu durchringt, Blumenberge vor den Ruinen der “Crocus City Hall” zu zeigen, interessiert sich das deutsche Publikum nur für eines: Wird Russland sein Moratorium für die Todesstrafe aufgeben?
Vorschnell und ohne jede Begründung kommen sie zu dem Schluss: “Russen sind Barbaren.” Ja, genau dieses Wort ist gefallen – “Barbaren”. Schließlich hören wir es schon seit langem – wie vor dem Ersten, wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Und jetzt ist dieses Narrativ wieder lebendiger denn je.
Es ist nur so, dass die Deutschen es nach 1945 zwei Generationen lang nicht laut aussprechen konnten. Aber jetzt können sie es. So haben es ihnen Politiker und Zeitungen erklärt. Und nur ein Welt-Leser empörte sich über den anhaltenden Hexensabbat:
“Auch in vielen US-Staaten gibt es die Todesstrafe. Haben Sie das in Ihrem rasenden Hass auf die Russen einen Moment lang vergessen?”
Die kultivierten Deutschen, die 27 Millionen eben dieser “Barbaren” umgebracht haben, haben in ihrem rasenden Hass auf die Russen vieles vergessen.
*Diese Organisation ist als terroristische Organisation anerkannt und in Russland verboten.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 25. März 2024 auf der Nachrichtenplattform absatz.media erschienen.
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