Von Wladislaw Sankin
Ein ungewöhnlich sonniger und heißer Tag kennzeichnete den ersten September in der thüringischen Hauptstadt Erfurt. Doch nicht nur das Wetter hielt die Erfurter davon ab, sich auf offener Straße in Diskussionen zu verwickeln. Es scheint, als wäre das politische Klima ebenso erhitzt.
Inmitten einer Friedensdemonstration linker Gruppen am Anger wollten wir für unsere Reportage filmen, doch eine ältere Aktivistin wies uns zurecht, dass ohne Genehmigung der Organisatoren keine Aufnahmen erlaubt seien. Bei dem Versuch, die Organisatoren ausfindig zu machen, stellte sich heraus, dass die Veranstaltung nur spärlich besucht war. Nicht mehr als ein paar Dutzend Teilnehmer hatten sich um einige Informationsstände und eine kleine Bühne versammelt.
Die allgegenwärtigen, politisch angepassten Friedensappelle, die von der Bühne drangen, schienen kaum Interesse bei den Passanten zu wecken. Überdies verkündete das auf einem Zelt prangende Logo der Linkspartei nichts Gutes für deren Wahlergebnis am Tag. Eine Filmaufnahme wurde uns letztendlich von einem älteren, bärtigen Mann untersagt, ohne dass eine Begründung folgte. Die Aktivistin bemerkte mein erstauntes Gesicht und kommentierte: “Man weiß nie, wer das Filmmaterial wofür nutzen könnte.”
Die Veranstalter schienen generell zu befürchten, dass die Erfurter AfD-Sympathisanten sein könnten. Diese Angst reichte so weit, dass sie eine mögliche Verfolgung durch die Wahlgewinner befürchteten. Ein vorbeigehender Mann rief einer Rednerin ein „Halts Maul“ zu, woraufhin die Menge “Internationale Solidarität!” skandierte und der Mann mit einem erhobenen Mittelfinger weiterging. Solche Konflikte scheinen hier alltäglich zu sein.
Wie bereits erwähnt, ist es schwierig, Gesprächspartner zu politischen Themen zu finden, die bereit sind, sich vor der Kamera zu äußern. Jene, die dazu bereit waren, äußerten sich lang und breit. Bis auf eine Ausnahme war keiner von ihnen ein Wähler der AfD. Ein Mann in den mittleren Jahren, der auf den Stufen des Ehrtal-Obelisks Nachrichten auf seinem Smartphone verfolgte, gab zu, mit dem Wahlergebnis zufrieden zu sein, hielt sich jedoch bedeckt, was seine Stimmabgabe anging.
Am frühen Nachmittag konzentrierten sich meine Fragen hauptsächlich auf den Krieg in der Ukraine, die Explosion der Nordstream-Pipeline und die sozioökonomischen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Eine ältere Dame aus Bayern, die ihre Freundin in Thüringen besuchte, sprach von ihrer Skepsis gegenüber Selenskij und seiner Politik, die sie als reine “Schauspielerei” betrachtete. Sie war strikt gegen Waffenlieferungen nach Ukraine und vermutete, dass Ukrainer hinter der Pipeline-Explosion stehen könnten. Sie gab zu, traditionell CSU zu wählen und sprach ihre Hoffnung aus, dass Deutschland zu einer Russlandpolitik im Stil Angela Merkels zurückkehren würde. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie gebürtige Thüringerin ist und den Krieg durch Verhandlungen beendet sehen wollte.
Ein weiterer Gesprächspartner, ein älterer Mann, der sein Gesicht am Brunnen kühlte, identifizierte sich als Kommunist und sprach sich für die Rechte einfacher Menschen in Russland und der Ukraine aus. “Junge Männer werden auf beiden Seiten verheizt, Zivilisten leiden”, beklagte er und kritisierte die militärische Unterstützung der Ukraine als Eskalation der Gewalt.
Mein letzter Gesprächspartner des Tages war ein AfD-Wähler, der am Obelisk saß. Er äußerte seine Zufriedenheit mit dem Wahlergebnis, war aber besorgt über mögliche politische Einmischungen auf Bundesebene, ähnlich dem Fall Thomas Kemmerichs im Jahr 2019. “Bitte, meine Aussagen nicht aus dem Kontext reißen”, bat er zum Abschluss unseres Gesprächs.
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