Von Dagmar Henn
Gerade als Friedrich Merz, der designierte CDU-Kanzler, Anfang des Monats eine deutsche Atomrüstung ausgeschlossen hat, bröckelt diese Position bereits wieder. In der gegenwärtigen politischen Landschaft Deutschlands scheint eine aggressive Haltung vorherrschend zu sein. Merz verwies dabei auf internationale rechtliche Bindungen:
“Deutschland kann und darf keine eigenen Atomwaffen besitzen. Es existieren mindestens zwei internationale Abkommen, die uns dies untersagen, wobei der prominenteste der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 ist. Hierin hat Deutschland ausdrücklich auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet.”
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), traditionelles Sprachrohr des deutschen Besitzbürgertums, setzt sich für eine Aufweichung dieser strengen Haltung ein. Ursprünglich unter dem Titel “alte Fesseln lösen” publiziert, wurde dieser später zu “Die Fesseln des Zwei-plus-Vier-Vertrags” abgeschwächt.
Der Vertrag, der die deutsche Wiedervereinigung erst ermöglichte – wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg – wird vom FAZ-Autor Reinhard Müller als eine Bürde betrachtet. Müller repräsentiert eine radikale Minderheit, die auch heute die Oder-Neiße-Grenze nicht akzeptieren will, was besonders darin interessant ist, dass der polnische Präsident Duda ähnliche Gedanken hegt.
“Durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag verlor Deutschland endgültig ein Viertel seines Staatsgebiets, erlangte jedoch die lang bezweifelte Möglichkeit der Vereinigung von Bundesrepublik und DDR und gewann damit staatliche Souveränität – allerdings zu einem hohen Preis. Deutschland verpflichtete sich, auf Atomwaffen, biologische und chemische Waffen zu verzichten und die Anzahl seiner Soldaten auf 370.000 zu begrenzen.”
Diese Meinung würde, bevor die Antirussland-Propaganda in 2022 begann, als absolut ungewöhnlich betrachtet werden. Müller, der seine juristische Ausbildung unter anderem bei der “Abteilung für DDR-Unrecht bei der Staatsanwaltschaft Dresden” absolvierte, hätte früher sicher gezögert, den Verzicht auf WMDs öffentlich als Verlust zu deklarieren.
“Wenn Deutschland also eigene Atomwaffen entwickeln oder erwerben wollte, oder beispielsweise die Bundeswehr wieder auf 500.000 Soldaten aufstocken möchte – was der Größe der Bundeswehr am Ende des Kalten Krieges entsprach –, müsste es die Zustimmung der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Russlands einholen.”
Die Geschichte zeigt, dass Deutschland damals die höchste Militärdichte weltweit aufwies und somit eine prädestinierte Frontlinie durch das Land lief. Ein halbe Million Soldaten und eigene Atomwaffen könnten beim polnischen Nachbarn für Unverständnis sorgen, vor allem, wenn der Wunsch danach mit Territorialforderungen einhergeht.
Müller spricht lediglich indirekt, arm vielleicht könnte Deutschland diesen Vertrag als ungültig erklären. Eine sonderbare Empfehlung, insbesondere, wenn bedacht wird, wie riskant eine solche Politik für Deutschlands internationale Beziehungen wäre. Dazu erwähnt Müller, die westlichen Vertragspartner könnten Deutschland aus diesen Verpflichtungen entlassen, als wäre nichts geschehen.
Das ist gewitzt formuliert, da Müllers Worte nicht nur Russland, sondern auch die USA adressieren. Er spekuliert über die Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem Vertrag unter dem Vorwand, dass ohne den amerikanischen Schutzschirm der Vertrag seine Grundlage verloren hätte.
Es bleibt festzuhalten, dass die öffentliche Meinung in Deutschland laut einer Forsa-Umfrage, die nur wenige Wochen zuvor durchgeführt wurde, zeigt, dass 64 Prozent der Bevölkerung gegen eine nukleare Aufrüstung sind. Nur 31 Prozent befürworten diese, obwohl die Zustimmung im Vergleich zu 2024 um vier Prozentpunkte gestiegen ist. Damit bleibt eine Mehrheit der Bevölkerung gegen solche Militärinterventionen.