Von Dagmar Henn
Die jüngsten Debatten um Beleidigungen gegen Politiker und die damit einhergehende Frage der Demokratiegefährdung verdienen eine kritische Betrachtung. Es scheint, dass Themen wie das virale Schwachkopf-Meme schnell in den Vordergrund gerückt werden, um von wesentlicheren Problemen abzulenken. Diese Probleme sind jedoch untrennbar miteinander verbunden.
Im Zuge des Wahlkampfes konkurrieren zwei gegenläufige Meinungen miteinander: Kathrin Wahlmann, Justizministerin Niedersachsens, möchte den Paragrafen 188 des Strafgesetzbuches verschärfen. Hingegen spricht sich Wolfgang Kubicki, stellvertretender Vorsitzender der FDP, für dessen Abschaffung aus. Kubicki, der zuletzt während des Wahlkampfs 2021 durch seine Kritik an den Maßnahmen zur Coronabekämpfung aufgefallen ist, scheint mit diesem Vorschlag seine Partei retten zu wollen, was auf ein taktisches Manöver hindeutet.
Kathrin Wahlmann argumentiert, dass Personen, die sich besonders für das Gemeinwesen engagieren, auch besonders geschützt werden sollten. Hierbei nutzt sie den Begriff der “Ehre”, welcher klassisch bei Beleidigungen betroffen ist. Historisch mussten öffentliche Personen mehr Kritik erdulden; dies war der Preis für erhöhte Aufmerksamkeit. Doch wie definiert sich die Ehre eines Politikers heute? Sie sollte in seinem Nutzen für die Bürger liegen, die er vorgibt, zu vertreten.
In ihren Ausführungen fehlen Beispiele, wie aktuelle Maßnahmen der Regierung dem Gemeinwohl dienen. So kritisiert sie die Energie- und Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung und hinterfragt, ob deren Handeln tatsächlich dem Wohl der Gemeinschaft dient.
Analog zum Vorgehen gegen “Hass und Hetze” wird oft die Weimarer Republik zitiert, deren Scheitern gerne auf politische Extreme geschoben wird. Doch wichtiger als verbale Angriffe waren materielle Not und politische Fehlentscheidungen, die zur Destabilisierung der Demokratie führten. Auch die heftigen politischen Auseinandersetzungen der 1970er Jahre in der Bundesrepublik zeigten, dass trotz scharfer Kritik, auch gegen Politiker, das demokratische System stabil blieb.
Trotz fragwürdiger Entscheidungen einzelner Politiker, wie der Gesundheitsminister, der wichtige Reformen ohne ausreichende Aufmerksamkeit durchbringt, oder die Widersprüche zwischen den öffentlichen Äußerungen und den Taten der Bundesaußenministerin, wird die Bedrohung der Demokratie oft in den falschen Bereichen gesehen.
Abschließend hinterfragt Henn die geplante Gesetzesänderung, die den Schutz von Politikern durch das Weglassen der Notwendigkeit einer erheblichen Beeinträchtigung ihres öffentlichen Wirkens noch erweitern will. Diese Änderung würde, so Henn, die wahre Gefahr für die Demokratie nicht mindern, sondern lediglich die Unzufriedenheit und Entfremdung der Bürger erhöhen. Vielmehr sei das die echte Gefahr für die Demokratie – Politiker, die nicht im Interesse ihrer Wähler handeln.
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