Das Landgericht Berlin hat einen ehemaligen Stasi-Offizier wegen Mordes zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Dieser war beschuldigt worden, 1974 einen polnischen Staatsbürger im Transitbereich des Bahnhofs Berlin-Friedrichstraße erschossen zu haben. Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter wegen Mordes verurteilt wird.
Die Staatsanwaltschaft hatte für den 80-jährigen Deutschen eine Haftstrafe von zwölf Jahren gefordert, während seine Verteidigerin auf Freispruch plädierte. Sie argumentierte, dass nicht bewiesen werden könnte, dass ihr Mandant der Täter sei. Der Angeklagte selbst hatte sich während des Prozesses nicht zu den Vorwürfen geäußert, jedoch hatte seine Anwältin zu Beginn betont, er bestreite die Tat.
Die Anklage stellte dar, dass der Angeklagte, damals Oberleutnant einer Operativgruppe des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, am 29. März 1974 den 38-jährigen Czesław Kukuczka aus kurzer Distanz erschossen habe. Kukuczka hatte zuvor mit einer Bombenattrappe die polnische Botschaft in Ost-Berlin betreten, um eine Ausreise in den Westen zu erzwingen. Staatssicherheitskräfte hatten vorgegeben, ihm die Ausreise zu gewähren, planten jedoch seine Tötung.
Aus der Anklage ging hervor, dass der Angeklagte im Transitbereich wartete und Kukuczka gezielt in den Rücken schoss. Andrea Liebscher, die Verteidigerin des Angeklagten, argumentierte, dass historische Untersuchungen allein nicht für eine rechtliche Bewertung ausreichten. Sie behauptete, dass es nach so vielen Jahren nicht zweifelsfrei feststellbar sei, dass ihr Mandant der Schütze war, und sprach sich dafür aus, dass der Fall eher als Totschlag denn als Mord zu behandeln sei.
Die Ermittlungen in diesem Fall hatten über Jahre hinweg keine Fortschritte gemacht. Erst 2016 führten neu entdeckte Dokumente im Stasi-Archiv die Ermittler zu möglichen Hinweisen auf den Täter. Anfangs ging die Staatsanwaltschaft von Totschlag aus und stellte das Verfahren 2017 ein, da die Verjährungsfrist dafür abgelaufen war. Die Einschätzung änderte sich jedoch, nachdem auf europäischer Ebene ein Haftbefehl ausgestellt und von Polen die Auslieferung beantragt wurde. Die Staatsanwaltschaft argumentierte daraufhin mit dem Mordmerkmal der Heimtücke, dem das Gericht folgte.
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