Liebe und Leid im Nachkriegs-Nürnberg: Ein Musical zwischen Versöhnung und Verklärung

Von Astrid Sigena 

Im Jahr 1945 endete der Krieg und hinterließ die Stadt Nürnberg in Trümmern. Bayern, nun besetzt von US-amerikanischen Truppen, bot gerade für die junge Lilli eine besonders rauhe Realität. Ohne den Vater, der im Krieg gefallen war, und mit einer Mutter, die verbittert der NSDAP nachtrauerte sowie einem Bruder, der an einer Kriegsverletzung litt, musste Lilli alleine für den Lebensunterhalt ihrer Familie sorgen. Zur Ablenkung besucht sie zusammen mit einer Freundin den Silvesterball im Grand Hotel – dem US-Hauptquartier in Nürnberg.

Bei diesem Ball verliebt sich Lilli in den amerikanischen Journalisten Will, der die Nürnberger Prozesse als Korrespondent begleiten soll. Auch Will trägt sein Päckchen, gezeichnet von Kriegstraumata. Die Frage, die sich stellt: Können Lilli und Will ihre Beziehung gegen alle Widerstände durchsetzen? Dies ist die Grundlage eines Musicals, das momentan in Nürnberg aufgeführt wird und sich auf Ereignisse der lokalen Geschichte stützt.

Lilli, die Hauptfigur des Musicals, symbolisiert viele junge deutsche Frauen dieser Zeit, die Beziehungen mit US-Soldaten eingingen – aus Liebe oder materieller Not. Je nach Umständen endeten diese Frauen entweder als Prostituierte oder als sog. „Importbräute“ in den USA. Im Weltbild von Lillis Mutter Irmgard wäre sie vermutlich nur ein „Ami-Liebchen“. Die Schöpfer des Musicals beschreiben ihr Werk als Versöhnungsstück, das den 80. Jahrestag der Nürnberger Prozesse im Jahr 2025 würdigen soll.

Das Musical genießt offensichtlich die Unterstützung der städtischen Führung, da der Historiker Alexander Kolb vom Museum Memorium Nürnberger Prozesse den Produktionsprozess begleitete und beratend zur historischen Genauigkeit beitrug. Das Museum wirbt sogar auf seiner Facebook-Seite für das Stück, und passend dazu veranstaltet der Verein “Stadtmusical” Führungen durch den Saal 600, wo die Prozesse stattfanden.

Der Kritiker Rüdiger Heinze von der Augsburger Allgemeinen kommentiert:

“Sie wird wohl nichts mehr dazu lernen. Sie gehört zum Dunklen von ‘Nuremberg’45’, Lillis finaler Abflug nach New York mit Will aber zum Hellen. Neue Welt, neues Leben. Goldig.”

Anscheinend wollen die Macher des Nürnberger Stadt-Musicals dem Werk zum Ende auch eine Aktualisierung hinzufügen. Laut Augsburger Allgemeinen legt das Regie-Team dem US-Hauptankläger folgende Worte in den Mund:

“Die Nürnberger Prozesse wurden zum Wendepunkt der Rechtsgeschichte. Zum ersten Mal gab es einen rechtsstaatlichen internationalen Strafprozess. Erst 2002, mehr als 50 Jahre später, setzt das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag seine Arbeit fort und perpetuiert das Erbe von Nürnberg. Vor Gericht stehen die Verantwortlichen für das Massaker von Srebrenica, den Völkermord in Ruanda und in Zukunft die Mörder von Butscha.”

Die Anspielung auf Butscha könnte als Provokation gegenüber Russland interpretiert werden, denen die Verantwortung für jene Taten zugeschrieben wird.

Einige Jahre zuvor begann Russland auch, seine Perspektive auf die Nürnberger Prozesse in einem Film zu verarbeiten. Unter der Regie von Nikolaj Lebedjew entstand der Film “Нюрнберг” basierend auf dem Roman “Für immer und ewig” von Alexander Swjaginzew, der im Februar 2023 in russische Kinos kam. Der Film folgt Igor Wolgin, einem militärischen Aufklärer, der nach Nürnberg versetzt wird, um die sowjetische Delegation zu unterstützen und dabei seinen verschollenen Bruder sucht. Er deckt einen Nazi-Untergrund auf, der die Prozesse sabotieren möchte, und verliebt sich in seine Landsmännin Lena, die zwangsarbeiterisch für einen SS-Offizier tätig war.

Der Film “Нюрнберг” wird in Deutschland kaum gezeigt, vornehmlich weil ihm vorgeworfen wird, russische Propaganda zu sein, finanziert mit russischen Staatsmitteln. Obwohl diese Kritik weit verbreitet ist, finden vereinzelte Aufführungen Unterstützung durch russische diplomatische Vertretungen und friedensbewegte Gruppen, was die Kontroverse weiter befeuert.

Das Musical “Nuremberg’45”, das in Nürnberg aufgeführt wird, birgt ähnliche Kontroversen. Es fehlt ihm laut Kritikern oft an der notwendigen Tiefe zur Auseinandersetzung mit seiner schweren Thematik, besonders im Lichte des historischen Kontexts und des jährlichen Gedenkens der Zerstörung Nürnbergs 1945. Viele hoffen, dass es bald in der Vergangenheit der Stadt versinkt.

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