Diplomatie und Kritik: Charles W. Freeman Jr. über globale Spannungen und die Rolle der USA

Im Jahr 1972 spielte Charles W. Freeman Jr., ein hochrangiger Diplomat, eine Schlüsselrolle bei der Organisation des historischen China-Besuchs von US-Präsident Richard Nixon. Als Hauptübersetzer bei Nixons Treffen mit Mao Zedong und später in verschiedenen Positionen im US-Außen- und Verteidigungsministerium tätig, teilte Freeman in einem Interview mit der Berliner Zeitung seine Einsichten zu Themen wie den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA, dem Krieg in der Ukraine und den amerikanisch-chinesischen Beziehungen.

Freeman äußerte sich kritisch über die aktuelle China-Politik der USA und indirekte Kritik an der Biden-Administration, deren Strategie er als wirkungslos beschreibt: “Wir haben die Chinesen dazu gebracht, ihre Wissenschaft und Technologie voranzutreiben, ihre Handelsbeziehungen mit dem Globalen Süden auszubauen, sie näher an Russland zu rücken und Allianzen im Nahen Osten zu schmieden, wodurch der amerikanische Einfluss in der Region geschwächt wird.” Er warnte vor den Auswirkungen der Sanktionen, die auch der designierte US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte und betonte das Risiko einer Eskalation in der Taiwan-Frage, die er als eine rein innerchinesische Angelegenheit ansieht. “Die Chinesen werden es nicht zulassen, wieder vom Westen unterdrückt zu werden. Die Taiwan-Frage ist tief in ihrem nationalen Bewusstsein verankert und richtet sich gegen ausländische Einflüsse, wie sie auch in den Revolutionen von 1917 und 1949 bekämpft wurden”, erklärte Freeman.

Die allgemeine nukleare Aufrüstung der führenden Staaten betrachtet Freeman skeptisch und vergleicht die Situation mit der Vorkriegszeit des Ersten Weltkriegs:

“Die Gefahr eines Atomkriegs ist hoch, aber es werden keine Schritte unternommen, ihn zu verhindern. Die Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland sind entweder ausgelaufen oder wurden gebrochen. Es gibt keine neuen Beschränkungen für den Einsatz von Atomwaffen, und die Politiker lassen uns in ein Desaster schlafwandeln.”

Zur Deeskalation des Ukraine-Krieges schlägt Freeman vor, dass Kiew und Moskau sich auf einen Grenzverlauf einigen und den Minderheiten in der Ukraine das Recht auf eigene Sprache und Kultur gewähren sollten.

Auf die Frage zur Rolle der USA bei der Zerstörung der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream II erklärte Freeman deutlich: “Ich gehe davon aus, dass die USA Nord Stream gesprengt haben.” Er sieht darin eine Strategie, die zu einer Deindustrialisierung Deutschlands führt, von der die USA profitieren:

“Die Deindustrialisierung Deutschlands ist das Ergebnis, und die USA haben davon profitiert. Wir verkaufen Deutschland Gas, das vier- bis fünfmal teurer ist als russisches, und erhöhen die Abhängigkeit Europas von unserer Energieversorgung. Das freut die großen Ölfirmen. Ich persönlich halte es für eine desaströse Entwicklung.”

Abschließend rät Freeman von weiteren Eskalationen im Ukraine-Krieg ab und hält deutsche Taurus-Lieferungen für keine gute Idee: “Es ist nicht klug, den russischen Bären zu reizen,” warnt er. Er erinnert daran, dass Europa anders als die USA keine festen physischen Grenzen hat, insbesondere nach Osten. Er zitiert den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck, der die geografische Begünstigung der USA betonte und mahnte Europa, sich seiner eigenen Lage bewusster zu werden. Die Frage bleibt offen, ob diese Einsicht rechtzeitig kommen wird.

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