Von Dagmar Henn
Fast möchte man Bundesumweltministerin Steffi Lemke dankbar sein für den Konflikt, den sie mit Botswana heraufbeschworen hat. Denn er ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie tief die koloniale Weltsicht nach wie vor in Europa verankert ist, und gleichzeitig ein Beleg für die Veränderungen, die gerade stattfinden.
Ohne die Androhung des botswanischen Präsidenten, Deutschland mit 20.000 wilden Elefanten zu beglücken, würde in Deutschland wohl kaum jemand auf den Gedanken kommen, an einem Importverbot für Jagdtrophäen aus Afrika etwas zu finden. Schließlich verbindet man damit das klassische Bild des Großwildjägers (also des weißen Kolonialherren, wie aus den Tarzan-Filmen), der sich überdimensionierte Symbole seiner Männlichkeit in sein europäisches Wohnzimmer stellt, und kann sich dabei sogar noch vorkommen, als hätte man zum Fortschritt der Menschheit beigetragen.
Nur, dass die Sache komplizierter ist, was schnell sichtbar wird, wenn man die Verhältnisse umdreht. Wie würde eine Bundesregierung reagieren, die man auf verschiedenste Weise nötigen wollte, endlich die Population von Wölfen und Bären auf dem Bundesgebiet auf das Niveau, sagen wir, des 18. Jahrhunderts zu bringen? Wenn eine Reihe von, sagen wir mal, mit chinesischem Geld ausgestatteten Stiftungen weltweit die Forderung erheben würde, die norddeutsche Tiefebene endlich wieder zu Weidegebieten der Wisente zu machen, wie das vor vielen Jahrhunderten war?
Sicher, Bärenklauen und Wolfszähne aus Deutschland sind keine international nachgefragten Waren. Aber bei einem derartigen Beispiel ist sofort klar, dass es sich dabei um eine weitreichende Einmischung in Belange handelt, die die Bevölkerung des jeweiligen Landes selbst entscheiden sollte. Und dass niemand in Europa es akzeptieren würde, von außen Lebensverhältnisse diktiert zu bekommen, die mit den Interessen der Menschen rein gar nichts zu tun haben (wobei, seit der Sprengung von Nord Stream bin ich mir da nicht mehr so sicher).
Der einzige Grund, warum Elefanten in Europa so gut genutzt werden können, um Gefühle auszulösen, ist, dass es außerhalb von Zoos und Zirkussen keine gibt. Das einst in Europa heimische Mammut wurde schon vor zehntausenden Jahren ausgerottet. Ähnlich erging es anderen Großtierarten wie dem Auerochsen, dem Wisent und dem Wildpferd. Ihren Platz haben in den dicht besiedelten Gebieten Europas schon vor Jahrhunderten domestizierte Arten eingenommen.
Die ganze in Europa so beliebte Erzählung von der angeblichen afrikanischen Überbevölkerung hängt an der Überhöhung dieser Wildtiere, deren Lebensraum vor menschlicher Besiedelung geschützt werden müsse. Wenn man nach ähnlichen Sichtweisen in der europäischen Geschichte sucht, findet man sie höchstens in den Auseinandersetzungen um das Jagdrecht in den Wäldern, in denen oft auch die aristokratische Vergnügung, die einen möglichst hohen Wildbestand anstrebte, mit den Interessen der Bauern kollidierte, die das Wild nicht jagen durften, aber in ihren Feldern die Schäden davon hatten. Letzte Episoden dieser Art findet man etwa um den “Wildschütz Jennerwein”.
Übrigens ist es durchaus interessant, dass die ganze überzeichnete Tierliebe, von der grundsätzlich negativen Darstellung afrikanischer Entwicklung bis zum Veganismus, erst einsetzt, als der Anteil der Bevölkerung, der in Deutschland noch mit Landwirtschaft zu tun hat, auf ein Minimum gefallen ist. Wodurch zum einen eine realistische Sicht auf das doch nicht immer so freundliche Verhältnis zur Natur verschwand, zum anderen aber auch die Erinnerung an die alten ländlichen Konflikte, beispielsweise um das Jagdrecht.
Wenn jetzt der botswanische Präsident Mokgweetsi Masisi bei der aus Deutschland angestrebten Verhinderung der Bejagung “rassistische Tendenzen” sieht, hat er damit recht, und zwar gleich auf zwei Ebenen. Zum einen, weil in der auch aus Deutschland vertretenen Sicht Großtiere immer wichtiger sind als afrikanische Menschen, und schon die Vorstellung, Afrikaner könnten jagen (bei der Auseinandersetzung geht es schließlich nicht um Jagdrechte, sondern um das, was von dem erjagten Tier verwertbar ist), bricht ein unbewusstes Tabu. Denn der “wahre” Afrikaner haust in Lehmhütten und betreibt bestenfalls kärgliche Landwirtschaft. Und zum anderen ist da eben jene Übergriffigkeit, mit Tricks und Kniffen anderen Ländern vorschreiben zu wollen, was sie zu tun und zu lassen haben.
Das ist gewissermaßen alles wie gehabt. Die bösen, unzivilisierten Afrikaner gefährden schon durch ihre schiere Existenz, mehr aber noch durch einen Geschäftstrieb, der ihnen nicht zusteht, die Erhaltung der uns kostbaren Tiere, also lassen wir uns etwas einfallen, wie wir ihnen das unmöglich machen können. Aber jetzt geschieht etwas Neues – die vermeintlichen Wilden lassen sich das nicht mehr gefallen – sogar ein kleines Land wie Botswana setzt sich zur Wehr.
Tatsächlich 20.000 wilde Elefanten nach Deutschland zu bringen, dürfte für das Binnenland Botswana sehr schwierig sein. In Botswana kommen auf einen Quadratkilometer Fläche nach Zahlen von 2017 ganze 5,4 Zentimeter Straße; in Deutschland sind es mehr als zwei Kilometer. Das lässt erahnen, wie schwierig die logistische Umsetzung dieses Exports wäre.
Aber auch wenn die Aussicht auf durch deutsche Maisfelder streifende (zugegeben, eher deutsche Maisfelder verwüstende) Elefantenherden begrenzt ist, lässt der Vorschlag erkennen, dass die politischen Moden in Deutschland genau beobachtet wurden. Denn es ist kein Zufall, wenn durch die Formulierung, man werde Elefanten nach Deutschland “abschieben”, auf den deutschen Migrationsdiskurs angespielt wird. Und tatsächlich, wie könnte man es legitimieren, die edlen Tiere nicht zu retten, wenn man die gleichen Menschen, denen man in ihren eigenen Ländern Entwicklung und Souveränität abspricht, als Flüchtlinge für das passende Objekt des eigenen Edelmuts hält? Da wäre die Aufnahme ansonsten zur Bejagung verurteilter Elefanten geradezu moralisch geboten.
Nun, Masisi hat bereits einige Jahre Erfahrung mit der westlichen Hybris, weil schon seine ersten Bemühungen, die Elefantenpopulation etwas zu verringern, die in Botswana die weltweit höchste ist, auf massive Gegenwehr stießen. Aus dem Westen versteht sich. Aber es zeigt eben auch, dass die Kräfteverhältnisse kippen.
Das eingeschlossene Botswana benötigt vor allem Verkehrsverbindungen zur Küste, die am besten durch gute Beziehungen zu China zu erreichen sind. Wenn der Westen meint, er müsse die afrikanischen Länder vor die Wahl stellen, ob sie mit ihm oder mit China zusammenarbeiten wollen, wird er immer häufiger die Erfahrung machen, dass man auf ihn verzichten kann.
Übrigens hat das Land zuvor noch auf konventionellere Methode versucht, zumindest ins Gespräch zu kommen; der Umweltminister Mthimkhulu reiste zu diesem Zweck extra nach Berlin. Die Jagdtrophäen, so seine Aussage, seien eine wichtige Einkommensquelle (was nachvollziehbar ist, sobald man erkennt, dass es um eine Devisenquelle geht), und zudem werde täglich ein Mensch von Wildtieren attackiert. Er hatte auch Umweltministerin Lemke nach Botswana eingeladen. Dass Masisi jetzt derart deutlich wurde, zeigt, dass diese Bemühungen erfolglos blieben.
Nebenbei gesagt, das gesamte Exportvolumen Botswanas betrug 2022 8,3 Milliarden Euro, und das ist der zweitbeste Wert des vergangenen Jahrzehnts. Der Löwenanteil von 87,41 Prozent entfiel auf “nichtmetallische mineralische Stoffe”; dahinter verbergen sich vor allem Diamanten. Der Diamantenexport bringt ein Drittel des GDPs und die Hälfte der Regierungseinnahmen; aber die Nachfrage nach Diamanten ist zuletzt eingebrochen. Die Exporte aus Botswana gehen vor allem nach Großbritannien und Südafrika, die Importe kommen aus Südafrika und China. Die deutschen Exporte im selben Jahr beliefen sich übrigens auf 1,5 Billionen Euro.
Gleichzeitig ist die ganze Geschichte aber noch auf einer anderen Ebene ein Beleg für einen geschickten Umgang mit den westlichen Gegebenheiten. Der Botschafter von Botswana in Berlin, John-Thomas Dipowe, ist gleichzeitig auch in Polen akkreditiert. Ein deutliches Zeichen, dass die Mittel begrenzt sind. Man macht sich selten Vorstellungen, unter welchen Bedingungen Botschafter ärmerer Länder arbeiten; vielfach wären beispielsweise bestimmte Wirtschaftskontakte wünschenswert und sogar möglich, scheitern aber an banalen Dingen wie den Fahrtkosten, um persönliche Gespräche zu führen. Eine Geschichte in der Bild, die dann von Dutzenden Medien übernommen wird, ist da Gold wert. So könnte sich die Sturheit des deutschen Umweltministeriums letztlich doch noch als nützlich erweisen.
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