Von Alexander Dugin
Trumps revolutionäre Wirkung
In Russland wie auch weltweit blickt man verdutzt auf die Vorgänge in den Vereinigten Staaten. Nur einige wenige Experten, wie beispielsweise Alexander Jakowenko, haben die Tragweite der Veränderungen, die sich dort abzeichnen, erfasst. Jakowenko kommentierte zutreffend: „Dies ist eine Revolution.“ Und in der Tat, das ist sie.
Der designierte US-Präsident Donald Trump und seine engsten Berater, darunter der visionäre Elon Musk, betätigen sich in einer nahezu revolutionären Manier. Noch ist Trump nicht im Amt – das wird erst am 20. Januar der Fall sein – doch bereits jetzt erleben Amerika und Europa eine dramatische Erschütterung. Es wirkt fast wie ein ideologischer und geopolitischer Tsunami, der so niemand erwartet hatte. Viele prognostizierten, dass Trump nach seiner Wiederwahl zu einer gemäßigteren Politik zurückkehren würde, ähnlich seiner ersten Amtszeit. Doch die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass das nicht der Fall sein wird. Trump repräsentiert eine wahre Revolution, vor allem jetzt in dieser Übergangszeit von Biden zu Trump, was uns dazu veranlasst, die Frage zu stellen: Was genau geschieht gerade in den USA? Denn offensichtlich befindet sich dort etwas in Bewegung – etwas sehr Bedeutsames.
Der „Tiefe Staat“ und die Aufstiegsgeschichte der USA
Zunächst sollte man sich fragen, wie es Trump überhaupt möglich war, trotz des mächtigen „Tiefen Staates“ gewählt zu werden. Dazu bedarf es einer breiteren Perspektive.
Der „Tiefe Staat“ in den USA umfasst den Kern des staatlichen Apparats sowie die mit ihm verbundenen ideologischen und ökonomischen Eliten. Staat, Wirtschaft und Bildungssystem sind nicht strikt voneinander getrennt, sondern miteinander verzahnt. Hinzu kommen etablierte US-Geheimgesellschaften und -Clubs, die früher als Kommunikationszentren für die Elite dienten. Dieser Komplex wird allgemein als „Tiefer Staat“ bezeichnet. Die beiden großen US-Parteien – die Demokraten und die Republikaner – verfolgen keine grundlegend unterschiedlichen Ideologien, sondern repräsentieren unterschiedliche Nuancen einer durch den „Tiefen Staat“ verkörperten einheitlichen politischen und ökonomischen Linie. Das Gleichgewicht zwischen ihnen dient lediglich der Feinabstimmung und der Aufrechterhaltung des Kontakts zur Gesellschaft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg durchlebten die USA zwei Hauptphasen: die Ära des Kalten Kriegs (1947–1991) und die Periode der unipolaren Welt, oft auch „das Ende der Geschichte“ genannt (1991–2024). In der ersten Phase trat Amerika der Sowjetunion als gleichwertiger Gegenspieler gegenüber, während es in der zweiten Phase seinen Widersacher abschüttelte und zur einzigen Supermacht aufstieg. Der „Tiefe Staat“, und nicht einzelne politische Parteien oder Institutionen, wurde zum Träger dieser unveränderlichen Rolle der Weltherrschaft.
Diese Dominanz nahm seit den 1990ern den Charakter einer liberalen Ideologie an, die durch die Interessen des internationalen Großkapitals und einer Kultur progressiver Individualität geprägt ist. Diese Strategie wurde hauptsächlich von der Demokratischen Partei vertreten, fand aber auch Unterstützung bei den neokonservativen Kräften innerhalb der Republikaner. Im Zentrum der Überzeugung stand die Annahme eines stetigen, linearen Wachstums – sowohl in ökonomischer als auch in kultureller Hinsicht – und die globale Verbreitung liberaler Werte und Technologien. Es schien, als ob das amerikanische Modell – eine repräsentative Demokratie mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft und einem individualistischen Weltbild – global angenommen wurde. Der „Tiefe Staat“ teilte und garantierte diese Agenda.
Samuel Huntington und die Notwendigkeit einer Kurskorrektur
Bereits Anfang der 1990er Jahre wurden Stimmen laut, die auf lange Sicht eine Überdenkung der bestehenden politischen Linie forderten. Samuel Huntington, mit seiner Theorie eines „Kampfes der Kulturen“ und der Vorhersage einer Multipolarität und einer Krise der westlich dominierten Globalisierung, stand für diese Ansicht. Hanson schlug eine Stärkung der US-Identität vor und riet davon ab, die westlichen Gesellschaften in einer homogen globalisierten Kultur zu vereinen. Dies schien vielen als übervorsichtig, und der „Tiefe Staat“ ließ zunächst die Optimisten wie Francis Fukuyama, der das „Ende der Geschichte“ proklamierte, gewähren. So setzten die amerikanischen Präsidenten von Clinton bis Biden – mit Ausnahme von Trumps erster Amtszeit – den gleichen liberalen, globalistischen Kurs fort.
Angesichts der wachsenden geopolitischen Herausforderungen und einer sich wandelnden Weltordnung steht jedoch nun die anfängliche Strategie des „Tiefen Staates“ auf dem Prüfstand. Die Wahl von Trump, obwohl sie zunächst als Zufall oder „technischer Fehler“ angesehen wurde, hat sich als Symptom einer tieferen Krise erwiesen und wirft die Frage auf, ob der „Tiefe Staat“ seine Strategie anpassen wird. Trumps Amtszeit könnte somit mehr als nur eine Übergangsphase darstellen, sondern den Beginn einer ernsthaften Neubewertung und eines möglichen Paradigmenwechsels in der Geschichte der amerikanischen Hegemonie markieren.
Trumpismus und Postliberalismus
Die sich abzeichnenden Konturen der Trump-Ideologie – oft als „Trumpismus“ bezeichnet – deuten auf eine deutliche Abkehr vom bisher dominierenden liberalen Kurs hin. Vizepräsident J.D. Vance beschreibt sich selbst als „postliberal“, was auf einen radikalen Bruch mit der etablierten liberalen Agenda hindeutet. Der „Tiefe Staat“, der traditionell keine spezifische Ideologie vertritt, scheint bereit zu sein, zu experimentieren und möglicherweise sogar eine grundlegende Überarbeitung der liberalen Ideologie in Erwägung zu ziehen.
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