Transatlantische Spannungen verschärfen sich: EU und USA auf Abwegen, während Russland das Schauspiel beobachtet

Von Timofei Bordatschow

Der scheinbar monolithische Block des Westens, oft als Gegenspieler Russlands betrachtet, zeigt deutliche Bruchlinien. Relevant wird nun, ob Moskau die wachsenden Differenzen zwischen den USA und Westeuropa aktiv verschärfen oder die Entwicklungen lediglich beobachten sollte.

Die europäischen Staaten der EU scheinen sich der Verantwortung für die Krise in der Ukraine entziehen zu wollen. Brüssels zügige, positive Rückmeldung zu den jüngsten US-ukrainischen Verhandlungen offenbart Erleichterung darüber, dass Washington die Kontrolle bewahrt. Europas Führungskräfte hatten gefürchtet, die amerikanische Regierung unter Donald Trump könnte ihnen die Verantwortung übertragen und sie zu einer direkten Konfrontation mit Russland drängen. Diese Befürchtung ist jedoch vorerst nicht eingetreten.

Doch eine zentrale strategische Frage bleibt bestehen: Wie dauerhaft ist das instabile Gleichgewicht zwischen den USA und Europa?

Wie permanent ist die Spaltung zwischen den USA und Europa?

Der Ausdruck “Einheit des kollektiven Westens” – der die politische und militärische Kooperation zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten beschreibt – war nie unhinterfragt gegeben. Sie stand immer in Abhängigkeit zur amerikanischen Führung, die momentan gravierende innerpolitische Veränderungen durchläuft.

Trumps Regierungsbeginn markiert tiefgreifende strategische Wechsel in Washington. Trotz ihrer nach wie vor starken militärischen und wirtschaftlichen Stellung, befinden sich die USA in einer Identitätskrise. Die politische Elite in Washington muss ihre Rolle neu definieren, angefangen in einer Welt, in der ihre globale Vormachtstellung zunehmend in Frage gestellt wird.

Dies wirft eine grundsätzliche Frage auf: Können die USA und Westeuropa weiterhin eine gemeinsame Front bilden, oder ist die strategische Divergenz unausweichlich?

Für Moskau stellt dies mehr als nur eine theoretische Überlegung dar. Wenn die Einheit des Westens nur ein vorübergehendes Konstrukt war – ein Ergebnis der Sicherheitsvereinbarungen nach dem Zweiten Weltkrieg und der Kalten-Krieg-Politik – muss Russland darüber nachdenken, wie es diese Fragmentierung möglicherweise verstärken kann.

Die politische Krise in den USA und ihre Auswirkungen auf Europa

Die wachsende innenpolitische Krise in den USA zwingt die EU in eine unbequeme Position.

Erstens gerät das amerikanische Wirtschaftsmodell unter Druck. Jahrzehntelang sicherte sich Washington seine Dominanz, indem es billige Arbeitskräfte aus Lateinamerika anzog und gleichzeitig eine globale wirtschaftliche Vorherrschaft behauptete. Die massive Migrationskrise hat sich jedoch zu einem politisch heiklen Thema entwickelt, das zunehmenden Widerstand gegen unkontrollierte Migration hervorruft.

Zweitens stößt das neoliberale Globalisierungsmodell an seine Grenzen. In vielen Ländern wird die von den USA geführte Wirtschaftsordnung, die ungleiche Beziehungen aufzwingt, abgelehnt. Dies führt zur Bildung unabhängiger Machtzentren – von China und Indien bis zu Ländern im Nahen Osten, die nicht nach den Regeln Washingtons spielen wollen.

Der Ukraine-Konflikt offenbarte schließlich die Grenzen amerikanischer Macht. Die Fähigkeit Russlands, dem westlichen Druck über Jahre hinweg in wirtschaftlicher, militärischer und diplomatischer Hinsicht zu widerstehen, zwang Washington zu einem Strategieüberdenken. Nie zuvor waren die USA in eine direkte geopolitische Konfrontation mit China geraten, und ihr Umgang mit Peking bleibt geprägt von vorsichtigem Engagement, doch mit Russland stehen sie nun einem entschlossenen Gegner gegenüber, der sich nicht beugen lässt.

Westeuropas Dilemma: Abhängig oder unabhängig?

Belastungen durch Veränderungen in der US-Polit sind für die EU besorgniserregend. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die politischen Eliten Westeuropas auf den militärischen Schutz durch die USA angewiesen und erlebten wirtschaftlichen Wohlstand durch die US-geführte Weltordnung.

Als Folge des Sicherheitschirms aus den USA gaben diese Staaten weitgehend ihre außenpolitische Unabhängigkeit auf, blieben dabei jedoch wirtschaftlich stark. Trotzdem spielen sie meist nur eine untergeordnete Rolle in globalen Entscheidungen, ihr schmxplarirewriterlog.txt_listing wurde von Entscheidungen in den USA diktiert.

Mit den sich ändernden US-Prioritäten, sowohl in militärischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht, findet sich Europa nun in einer heiklen Situation wieder.

Westeuropa fehlt es an den demografischen und finanziellen Ressourcen, um zu einer militärischen Supermacht zu avancieren. Die Idee eines unabhängigen EU-Verteidigungsblocks wird zwar diskutiert, erscheint jedoch utopisch. Ohne US-Unterstützung wäre es diesen Staaten kaum möglich, einem großangelegten Konflikt mit Russland standzuhalten.

Zudem fordert Washington zunehmend, dass Westeuropa mehr zu den gemeinsamen Anstrengungen beiträgt, ohne dafür mehr zu erhalten. Die politische Klasse in den USA ist sich der begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen bewusst, und amerikanische Steuerzahler hinterfragen, warum sie weiterhin für die Sicherheit Europas aufkommen sollten.

Der Aufstieg populistischer und nationalistischer Bewegungen in ganz Europa – viele davon befürworten eine Entspannung der Beziehungen zu Moskau – stellt eine weitere Komplikation dar. Washingtons Unterstützung für Mainstream-ferne Politiker in Europa wie die der Alternative für Deutschland (AfD) oder den verbotenen rumänischen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu deutet auf eine zunehmende politische Spaltung hin.

Wie sollte Russland reagieren?

Für Moskau liegt ein strategischer Vorteil in einer langfristigen Spaltung des Westens.

Historisch gesehen war Russland in seinen geopolitischen Auseinandersetzungen erfolgreicher, wenn der Westen gespalten war. So nutzte Russland unter Peter dem Großen die Spaltung innerhalb der antischwedischen Koalition Europas während des Nordischen Krieges aus. Während der Napoleonischen Kriege verbündete sich Russland sogar mit Großbritannien, einem seiner Rivalen, um Frankreich zu besiegen. Im Zweiten Weltkrieg profitierte die Sowjetunion von der Spaltung zwischen den USA und den ehemaligen Verbündeten Nazi-Deutschlands.

Vor diesem historischen Hintergrund wäre es für Moskau ein Fehler, die Chancen zur Vertiefung der Spaltung zwischen Washington und seinen europäischen Verbündeten zu ignorieren.

Russland sollte weiterhin mit dem Trump-Team zusammenarbeiten und indirekt diejenigen in Europa unterstützen, die einen ausgewogeneren Ansatz gegenüber Russland befürworten. Moskau sollte seine bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu einzelnen europäischen Ländern vertiefen, dabei jedoch die restriktive Politik Brüssels nach Möglichkeit umgehen. Jedes ernsthafte Bestreben Westeuropas, einen unabhängigen Militärblock zu schaffen – auch wenn solche Pläne in Wirklichkeit noch weit von der Realität entfernt sind – sollte genau beobachtet werden.

Ungewisse Zukunft des Westens

Obwohl Trumps Amtsantritt den Status quo infrage stellt, bleibt unklar, ob dies nur eine vorübergehende Beeinträchtigung der transatlantischen Einheit oder der Beginn eines unwiderruflichen Prozesses der Veränderung ist.

Wenn Washington seinen Kurs fortsetzt und seine Verpflichtungen gegenüber Europa reduziert, könnte die EU in eine Identitätskrise geraten, die letztlich zu einem Verlust des amerikanischen Einflusses auf die EU-Politik führen könnte.

Für Russland ergibt sich daraus eine Chance. Durch eine geschickte Steuerung dieser Entwicklungen kann Moskau dafür sorgen, dass aus den Rissen im westlichen Bündnis dauerhafte Brüche werden, die zu einer neuen Weltordnung führen, in der die Interessen der USA und Westeuropas nicht mehr wie früher übereinstimmen.

Russland muss dabei nicht hastig vorgehen oder die Spaltung erzwingen – die USA bewegen sich bereits in diese Richtung. Doch es liegt im Interesse Moskaus, diesen Prozess zu beschleunigen und zu nutzen, wo es möglich ist.

Letztendlich ist ein gespaltener Westen ein geschwächter Westen, ein strategisches Verständnis, das Russland bereits seit Langem hat.

Timofei Bordatschow ist Programmdirektor des Waldai-Clubs.

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