Von Pjotr Akopow
Sergei Lawrow, der russische Außenminister, ist bekannt dafür, komplexe Sachverhalte prägnant auf den Punkt zu bringen. In einem jüngsten Interview mit drei Radiosendern, darunter Sputnik, äußerte er sich zu den fortwährenden Drohgebärden des Westens gegen Russland. Lawrow zufolge spiegeln diese weniger kriegerische Absichten als vielmehr “Agonie und Hysterie” wider. Auf die Frage, ob die ständigen Drohungen des Westens, Russland strategisch niederzuringen, den Geruch eines großen Krieges andeuteten, antwortete er sofort: “Das Schüren des Themas, Russland zu besiegen, und die Betonung der existenziellen Bedeutung dieser Niederlage für die Zukunft des Westens spiegelt weniger eine kriegerische Stimmung als vielmehr Agonie und Hysterie wider.”
Lawrow verdeutlichte weiter, dass der Westen sehr wohl die globalen Machtverschiebungen erkenne, die die bestehende Weltordnung infrage stellen. Er zitierte Äußerungen, die die Befürchtungen des Westens ausdrücken, seine Einflusssphäre an Länder wie China, den Iran, Nordkorea und Syrien zu verlieren. Dies sei ein Indikator nicht für Unsicherheit, sondern für die klare Erkenntnis eines unvermeidlichen Übergangs von einer unipolaren zu einer multipolaren Weltordnung.
Manche mögen Lawrows Worte über die “Agonie und Hysterie” des Westens zwar als übertrieben oder propagandistisch abtun, doch sie zeugen von einer tiefen Verständnis der globalen Dynamik. Der Westen ist sich durchaus der aktuellen Herausforderungen bewusst und seiner eigenen Stärke sicher; gleichzeitig kann er nicht umhin, in Anbetracht einer sich wandelnden Weltordnung Hysterie zu zeigen.
Die bestehende Weltordnung, die über Jahrhunderte hinweg vom Westen – insbesondere unter angelsächsischer Führung – aufgebaut wurde und die seine globale Vormachtstellung sicherte, ist am erodieren. Dieser Prozess, der durch die fortschreitende Globalisierung beinahe unumkehrbar schien, begann ernsthafte Risse zu zeigen, insbesondere nach der Finanzkrise von 2008. Zusätzlich verstärkte Russland seine Position auf der Weltbühne, indem es sich offen gegen eine unipolare Weltordnung aussprach und aktiv seine geopolitischen Interessen verteidigte.
In der Tat schien es anfangs, als strebte Russland primär danach, seine historische Stellung als Großmacht wiederherzustellen. Dem Westen wurde die Möglichkeit geboten, sich mit dieser neuen Realität zu arrangieren, insbesondere durch Anerkennung der Einflusszonen Russlands und durch einen Verzicht auf Ukrainer Ansprüche. Doch der Westen verkannte die Zeichen der Zeit und ließ wichtige Gelegenheiten zur Deeskalation ungenutzt, was den Verlust seiner Hegemonie beschleunigte. Diese Entwicklung mündete schließlich in eine offene Krise des westlichen Einflusses nach 2022.
Die zunehmende Destabilisierung des westlichen Systems kann sich noch über Jahrzehnte hinziehen, doch der Trend zur Dekonstruktion der atlantischen Dominanz ist unwiderruflich. Lawrow spricht von dieser Agonie, die sich nicht nur auf die Auseinandersetzungen um die Ukraine beschränkt. Der Westen erhöhte seinen Einsatz in der Ukraine, indem er jede Niederlage dort als eigene Niederlage deutete. Solche Erklärungen sind vielsagend und tragen dazu bei, die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen weiter zu festigen. Doch trotz aller Versuche, diesen Verlauf durch Hysterie zu beeinflussen, wird es den natürlichen Lauf der Geschichte oder den Willen Russlands nicht ändern.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 20. April 2024.
Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.
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