Asiens aufstrebende Wirtschaftsmächte: Der Westen muss umdenken!

Von Dagmar Henn

In den Diskussionen um Chinas ökonomische Rolle taucht oft der Begriff “chinesische Überproduktion” auf, vor allem in Deutschland, dem Land des “Made in Germany”. Die Verwendung dieses Begriffs durch deutsche Politiker suggeriert, dass Chinas Exporte irgendwie illegitim seien. Es wird die Erwartung vermittelt, dass China sich auf die Bedürfnisse seiner eigenen Bevölkerung konzentrieren und die weltweiten Exportmärkte jenen überlassen sollte, die historisch etabliert sind – wie etwa Deutschland, das sich selbst einst als “Exportweltmeister” sah.

Dieser Ansatz übersieht, dass die dominante wirtschaftliche Stellung der europäischen Länder und später der USA nach historischen Maßstäben eher eine Ausnahme als eine Regel ist. In Wahrheit waren Länder wie China und Indien, die zu den bevölkerungsreichsten der Welt zählen, auch in der Vergangenheit starke wirtschaftliche Mächte. Noch im 18. Jahrhundert, bevor die europäische Kolonialpolitik ihren Einfluss ausbaute, waren sie führend in Produktion und Handel.

Auch die derzeit in den USA und Deutschland vorherrschende Abwehrhaltung gegenüber Chinas maritimer Expansion ist aus historischer Sicht irreführend. Im 16. Jahrhundert hatte China eine führende Marine, deren Schiffe die Weltmeere erkundeten, eine Tradition, die viele Jahrhunderte zurückreicht und sogar früher als die europäische Expansion begann.

Heutige Befürchtungen, dass die “liberalen Demokratien” unter Druck stehen, erinnern an den historischen eurozentrischen Glauben, dass wahre Zivilisation nur in Europa existiere. Dabei übersieht man die reichen und komplexen Zivilisationen Asiens, Afrikas und Amerikas, die bereits blühten, als Europa noch in seinen Kinderschuhen steckte.

Die meisten Zivilisationen entwickelten sich um bedeutende Nahrungsmittelquellen und getreidebasierte Systeme, die ihren Ursprung außerhalb Europas hatten. Diese historische Perspektive hilft, das heutige globale Ungleichgewicht zu verstehen, welches durch Jahrhunderte europäischer Expansion entstand, jedoch oft als normal betrachtet wird.

Dass Deutschland, trotz seiner relativ kleinen Bevölkerung, einst als Exportweltmeister galt, ist statistisch gesehen eine Anomalie. Die heutige gefühlte Überlegenheit des Westens erscheint absurd, wenn man den Rest der Weltgeschichte betrachtet. Mit einer Bevölkerung, die nur 17 Prozent der Welt ausmacht, kontrollieren Europa und Nordamerika einen unverhältnismäßig hohen Anteil des globalen Reichtums. Die Wirtschaftsleistung von Ländern wie China entspricht jedoch zunehmend ihrem Bevölkerungsanteil, was eine natürliche Rückkehr zu einem ausgewogeneren Zustand andeutet.

Die Vorstellung, andere Völker und Kulturen als unterlegen zu behandeln, wird, so hofft man, mit der Zeit verblassen, wenn die weltwirtschaftlichen Gewichte sich weiter verschieben und mehr Gleichheit bringen. Dies könnte eine Chance für den Westen bieten, auf gleicher Augenhöhe mit anderen Zivilisationen zu interagieren.

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