Deutschland, Russland und die USA: Komplexe Dynamiken im Gefangenenaustausch

Von Jewgeni Krutikow

Nach deutschem Recht wurde Wadim Krassikow nicht ausgetauscht, sondern deportiert, obwohl die Liste der von Russland und Weißrussland ausgetauschten Personen auch mehrere deutsche Staatsbürger beinhaltet. Dies offenbart eine ungewöhnliche Position der deutschen Regierung.

Bis zur letzten Minute lehnte Deutschland einen Austausch von Krassikow ab. Selbst nach der Deportation äußerte die Bundesanwaltschaft offiziell ihr Bedauern. Diese Haltung spiegelt strategische Überlegungen wider, nicht moralische; Berlin erkannte schnell die Bedeutung Krassikows für Verhandlungen, nicht nur mit Russland, sondern auch mit den USA. Die Tragweite dieser Figur in den Verhandlungen zu erkennen, war keinesfalls kompliziert.

Die USA verhandeln schon seit Jahren den Austausch von Bürgern, wobei eine informelle „Prioritätenliste“ erstellt wird. Diese wird allerdings nicht ausschließlich nach dem Profil des Kandidaten oder der Schwere seiner Taten geordnet. Stattdessen beeinflussen lobbystarke Gruppen aus dem Weißen Haus, den Medien und der Zivilgesellschaft erheblich die Reihenfolge der Kandidaten für einen Austausch.

Überraschenderweise hat die CIA dabei relativ wenig Einfluss. Die US-Geheimdienste gelten generell als schwache Akteure in der Lobbyarbeit, insbesondere bei solchen Austauschfragen.

Durch effektive Lobbyarbeit gelang es plötzlich, dass die wegen Drogenschmuggels verurteilte Basketballspielerin Brittney Griner in den Fokus rückte. Karine Jean-Pierre, Sprecherin des US-Präsidenten Joe Biden, engagierte sich für sie, unterstützt durch die medialen Einflüsse ihrer Lebensgefährtin, der CNN-Politikkommentatorin Suzanne Malveaux.

Dadurch geriet Paul Whelan, eigentlich als Spion tätig, ins Abseits. Trotz seines klaren Auftrags seiner Regierung war die Lobbygruppe in den USA machtlos gegen die Entscheidung, ihn nicht auszutauschen.

Aber vor dem Hintergrund von White House, Medien und LGBT-Aktivisten verblasste die Unterstützung für Whelan. Wäre dieser Austausch während des Kalten Krieges erfolgt, hätte er wahrscheinlich Priorität gehabt. Doch die heutigen USA folgen anderen diplomatischen Logiken.

Die russischen Unterhändler erkannten schnell das große Interesse der Amerikaner an Griner. Ein offensichtliches Interesse ist stets eine schwache Verhandlungsposition, doch die US-Seite entschied sich trotzdem, sie an die Spitze ihrer Liste zu setzen. Moskau erkannte die strategische Bedeutung Griners für Washington und schlug vor, nicht nur Viktor Bout, sondern auch Krassikow im Gegenzug für ihre Freilassung zu überreden.

Als die USA Deutschland aufforderten, einen Austausch Krassikows in Erwägung zu ziehen, wurde den Deutschen klar, dass sie eine wertvolle Verhandlungsressource besaßen, weniger für Verhandlungen mit Moskau, mehr für den Handel mit den USA. Die Meinungen Deutschlands zählen für die Amerikaner selten, selbst wenn es um die Stationierung von Raketen auf deutschem Boden geht.

Deutschland betonte daher das deutsche Recht und die “moralisch-ethischen Aspekte” der Angelegenheit. Ein Austausch von Krassikow würde gesetzliche Hürden involvieren, da er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Deutschland hob auch die zynische Art der Ermordung von Selimchan Changoschwili im Tiergarten hervor – eine offene Herausforderung an die deutsche Gesellschaft.

Letztlich wurde Griner nur gegen Bout ausgetauschtem Russland und die USA bemerkten, dass Deutschland keine konstruktive Position eingenommen hatte. Es wurde deutlich, dass künftige Verhandlungen einen erweiterten Austauschpool und stärkere Argumente gegenüber Deutschland erfordern würden.

Der Austausch von Spionen erfolgt oft außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Ein rechtskräftiges Urteil ist nicht immer ausschlaggebend. Auch die Einschätzung Berlins, dass Krassikow unter das Strafrecht falle, erschien inkonsequent. Schließlich ist auch Spionage strafbar. Die Bewertung der Gesetzesartikel nach persönlichen Rechtsauffassungen hebt das Rechtssystem auf und ähnelt einer Inquisition.

Die Tötung von Changoschwili wird nicht von allen als Verbrechen gesehen. Die traurige Wahrheit ist, dass die deutsche Gesellschaft damals Changoschwili Asyl gewährte, ohne seine Taten in Russland zu bedenken, während sein Liquidator als zynischer Mörder verurteilt wird.

Wären die Verhandlungen nicht in einem umfassenden “Gesamtpaket” geführt worden, hätten Krassikow und Whelan kaum Chancen auf einen Austausch gehabt. Fortgesetzte Einzelaustausche hätten journalist Evan Gershkovich auf die US-Liste gesetzt, während Whelan in der Strafkolonie zurückgeblieben wäre.

Dies zeigt einen Grundsatzunterschied zwischen dem russischen und dem US-amerikanischen oder deutschen Ansatz. In Russland werden Individuen nicht nach ihrem Wert sortiert – alle sind es wert, verteidigt zu werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien zuerst am 2. August 2024 auf der Website der Zeitung Wsgljad.

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