Von Pierre Lévy
Der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán sorgt regelmäßig für Unruhe unter seinen europäischen Amtskollegen. Neben seiner Gegnerschaft zum gegenwärtigen Kurs der Europäischen Union, besonders im Konflikt mit der Ukraine, behindert er auch entscheidende Beschlüsse, die die finanzielle Unterstützung der EU-Militärinterventionen betreffen.
Orbán betont stets, dass Frieden eher durch Dialog als durch militärische Eskalation gegenüber Russland zu erreichen sei. Direkt nachdem Ungarn den sechsmonatigen Ratsvorsitz der EU übernommen hatte, besuchte er im Juli den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau.
Brüssel sieht das größere Problem jedoch in etwas anderem: Ungarn sperrt sich gegen die Freigabe von Finanzmitteln für Waffentransfers, Ausrüstung und Training nach Kiew. Die Situation ist verwickelt, typisch für die Mechanismen innerhalb der Gemeinschaft.
EU-Verträge untersagen grundsätzlich die Finanzierung militärischer Operationen aus dem allgemeinen Haushalt. Lange Zeit suchte die EU nach Wegen, dieses Verbot zu umgehen, etwa durch Unterstützungen für bestimmte afrikanische Regierungen oder Einsätze auf dem Balkan. Dabei haben die europäischen Ambitionen im Bereich der Auslandsinterventionen zugenommen.
2021 beschlossen die 27 EU-Mitgliedstaaten deshalb die Schaffung einer speziellen Finanzierungsstruktur, genannt „Europäische Friedensfazilität“ (EFF). Ein ironischer Begriff, da es faktisch um Kriegsfinanzierung geht. Offiziell soll die EFF der EU helfen, Konflikte zu verhindern, Frieden zu sichern und die internationale Sicherheit zu stärken.
Die Beiträge zur EFF werden von den Mitgliedstaaten geleistet und richten sich nach deren Bruttonationaleinkommen. Bei ihrer Einführung wurde eine Obergrenze von 5,7 Milliarden Euro festgelegt, die jedoch bald darauf erhöht wurde: im März 2023 um 2,3 Milliarden Euro und im Juni 2023 um weitere 4,1 Milliarden Euro.
Im März 2024 kam es zu einer weiteren Anhebung um fünf Milliarden Euro, um einen speziellen Hilfsfonds für die Ukraine zu gründen, der flexible Einsatzmöglichkeiten bieten sollte. Diese Änderung ging mit einer aufwendigen Reform der Strukturen und Abläufe der EFF einher.
Zwischen Paris und Berlin, die zusammen 43 Prozent des Gesamtvolumens aufbringen, gab es Streitigkeiten über die Berechnung ihrer Anteile. Frankreich forderte, dass Rüstungsaufträge vorrangig an europäische Firmen gehen sollten, während andere Staaten, darunter Deutschland, auf eine schnelle Beschaffung auch in Drittstaaten drängten, insbesondere in den USA.
Nachdem ein Kompromiss erreicht wurde, hoffte Brüssel, dass der Ukraine-Fonds es ermöglichen würde, den Staaten Ausrüstung und Munition zurückzuerstatten, die sie zur Unterstützung der ukrainischen Armee bereitgestellt hatten. Der Fond sollte auch gemeinsame Anschaffungen von Munition und anderen Waffen finanzieren.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte seine Freude darüber, dass Ungarn nach langem Zögern schließlich grundsätzlich zustimmte, jedoch ohne finanziell beizutragen.
Doch die Entspannung währte nicht lange: Im Mai 2024 legte der ungarische Minister sein Veto gegen mehrere technische Abwicklungen ein, die es ermöglichen sollten, die ausgegebenen Beträge der Mitgliedstaaten durch den Fonds zurückzuerstatten. Beschlüsse, die die EFF (und somit deren Ukraine-Anteil) betreffen, bedürfen einer einstimmigen Entscheidung.
Die Sitzung des Rates am 27. Mai war besonders angespannt. “Ich glaube, der ungarische Minister hat die Verärgerung seiner Kollegen bemerkt”, kommentierte ein Teilnehmer. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó gab jedoch nicht nach und erklärte nach dem Treffen: “Wir bestehen weiterhin auf der Notwendigkeit, Frieden zu schaffen, das sinnlose Töten zu beenden und eine Eskalation dieses Krieges zu verhindern, weshalb wir uns nicht an der Freigabe zusätzlicher Mittel zur Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine beteiligen haben und auch nicht beteiligen werden.”
In Brüssel sucht man fieberhaft nach Wegen, das ungarische Veto zu umgehen. Im Oktober glaubte man eine Lösung gefunden zu haben: die anderen 26 Mitgliedstaaten sollten freiwillige Beiträge leisten, durch die fünf Milliarden Euro in den Ukraine-Fonds und 1,6 Milliarden Euro in die eigentliche EFF fließen sollten.
Es bestehen jedoch weiterhin Herausforderungen, besonders bei der Genehmigung “freiwilliger” Zahlungen durch die nationalen Verfahren der Mitgliedstaaten. Ein Problem, das sowohl rechtlicher als auch politischer Natur ist, was die von Frankreich geäußerten Bedenken bestätigen.
Paris könnte sich gegen den Umgehungsvorschlag stellen, unter anderem mit der Begründung, dass dieser einen Präzedenzfall schaffen könnte, der zukünftige Fälle, die weniger Priorität als die Ukraine haben, beeinflussen würde. Zudem ist die französische Regierung unter Michel Barnier, die kaum parlamentarische Unterstützung genießt, in einer besonders gefährlichen Haushaltsdebatte verstrickt, in der “Einsparungen” keine klare Mehrheit finden.
An die Nationalversammlung heranzutreten und “freiwillige” Ausgaben für die Unterstützung Kiews vorzuschlagen, wäre nicht ohne politisches Risiko. Sowohl das Rassemblement National als auch La France insoumise könnten dieses Thema zu einem weiteren politischen Schlachtfeld machen.
Obwohl die Mehrheit der Abgeordneten dem Prinzip der Militärhilfe zustimmt, ist die öffentliche Meinung viel zurückhaltender, was in der aktuellen politischen Lage, wie in vielen Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands, schwer wiegt. Das überraschende Abschneiden einer Antikriegskandidatin in der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahlen am 24. November hat in Brüssel, Berlin und Paris Besorgnis ausgelöst.
Orbán dagegen sieht seine Position in mehreren Ländern gestärkt und verbleibt als das schwarze Schaf im Europäischen Rat. Einige spekulieren sogar, dass er sich als Vermittler zwischen Putin und Donald Trump sieht, zu denen er gute Beziehungen pflegt.
Es bleibt die Frage, wie lange die europäischen Führer ihre aggressive Politik noch vorantreiben werden. Sowohl der Élysée-Palast als auch das französische Außenministerium sprechen wieder von der Entsendung von Soldaten oder Söldnern in die Ukraine, was keiner parlamentarischen Zustimmung bedürfte.
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